Wie es ist … zu erfahren, dass der Vater Spion ist

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Fotografie:
Kirsten Lara Getchell
DATUM Ausgabe September 2024

Ich war 15 Jahre alt, als mein Vater wie aus dem Nichts verkündete, dass er mir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen habe. Sein Ton erschreckte mich. ›Vielleicht hat meine Mutter Krebs‹, dachte ich damals. ­Später am Abend rief er mich nach oben. Ich betrat das Schlafzimmer. Mein Vater saß auf dem Bett. Er trug seinen japanischen Morgenmantel, hielt einen Cocktail in der Hand und zündete sich eine ­Zigarette an. ›Was mache ich beruflich?‹, begann er. ›Du bist ein internationaler Geschäftsmann‹, antwortete ich. ›Ja, das bin ich. Aber ich arbeite auch verdeckt für die CIA.‹

Ich reagierte, wie ein Teenager ohne Ahnung reagieren würde: ›Was?! Du bist wie James Bond, trägst schwarze Anzüge und schleichst mit einer versteckten Kamera herum?‹ Er machte mir schnell klar, dass das Leben eines CIA-Spions weit weniger glamourös ist. ›Mach dir keine Sorgen‹, sagte er und umarmte mich, ›alles bleibt, wie es ist‹.

Als ich über das Schicksal der beiden russischen Spionage­kinder las, die in Slowenien lebten und glaubten, Argentinier zu sein, dachte ich sofort daran, wie es für mich war, vom Beruf meines Vaters zu erfahren. Uns unterscheidet, dass ich damals Amerikanerin blieb. Die beiden aber sind im Westen aufgewachsen und nun begrüßt sie Putin in Moskau mit den Worten ›buenas noches‹, weil sie noch nicht einmal Russisch sprechen, aber von nun an Russen sind. Sie können wahrscheinlich kaum begreifen, was ihnen da gerade widerfährt.

Ich hatte damals ein anderes Problem. Niemand durfte von meinem Geheimnis erfahren, denn mein Vater wäre ins ­Gefängnis gekommen oder, schlimmer noch, getötet worden, wäre er entdeckt worden. Er hätte keinen Schutz von der US-Regierung erhalten. 

Monate später, auf einer Highschool-Party, spielten ein Freund und ich ein kleines Gestenspiel und stellten fest, dass wir wussten, dass unsere beiden Väter für die CIA ar­beiteten. Wir schlichen uns während der Party ins Schlafzimmer, verschwanden in einem Kleiderschrank und ­begannen zu flüstern. Alle dachten, wir hätten etwas miteinander, aber dafür konnte ich endlich mit jemandem über meinen Vater reden.

Er hat während des Kalten Krieges Russland ausspioniert, ein Land, in dem wir nie waren. Zum Glück. Ich hätte mich schrecklich gefühlt, wenn er gegen die Länder, in denen wir lebten, gearbeitet hätte. Lange Zeit habe ich mich gefragt, ob ich meinen Kindheitserinnerungen trauen kann. Dinge, die ich für normal hielt, wie die Wachen vor unserem Haus in Indien, bekommen rückblickend eine ganz neue Bedeutung. ›Unsere Leben war bedroht‹, erzählte er mir später.

Es wurde für mich schwieriger, meinem Vater zu vertrauen. Ich habe inzwischen mit einigen Spionen gesprochen, und viele sagen, dass das Risiko süchtig mache. Entdeckt zu werden ist gefährlich, aber die Arbeit ist aufregend. Das war auch bei meinem Vater so. Als er endlich in der Lage war, in Amerika ein normales Leben zu führen, wurde er depressiv.

Ich habe aus dieser Zeit jedenfalls gelernt, offen und anpassungsfähig zu sein. Der erste Umzug von Spanien nach Indien war schwer für mich, aber danach habe ich die Veränderungen genossen. Und was meinen Vater angeht: Er war integer, mitfühlend und wollte das tun, was in seinen Augen richtig war. Gleichzeitig bin ich froh, dass ich nicht alle Details über seine Arbeit kenne. Ich möchte nichts herausfinden, was meine Erinnerung an ihn zerstört. So ehrlich muss ich sein. •

Johanna McCloy (59) ist Autorin und Schauspielerin. Sie hat die Memoiren ihrer Mutter über das Leben als Ehefrau eines Undercover-Spions herausgegeben, ›Six Car Lengths Behind an Elephant‹.

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