›Wir sind kein Musterland‹

Die WU-Forscherin Sigrid Stagl erhielt 1999 als weltweit erste Person einen Doktorgrad in Ökologischer Ökonomie. Mit DATUM spricht sie über österreichische Mythen, angemessene CO2-Preise und die Macht der Verbote.

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Fotografie:
Gianmaria Gava
DATUM Ausgabe September 2023

Vor knapp einem Jahr wurde in Österreich erstmals eine steuerliche Bepreisung von CO2 eingeführt. Ihre Bilanz zum ersten Geburtstag des sogenannten Klimabonus?

Sigrid Stagl: Es ist so wichtig, dass es endlich diese Bepreisung von CO2 gibt. 25 Jahre lang wurde darüber geredet, alle Ökonominnen und Ökonomen waren sich längst einig, dass das notwendig ist, um die Emission von klimaschädlichen Gasen herunterzubekommen. Also, meine Reaktion dazu war: endlich – mit drei Rufzeichen. Zwar sind die 30 Euro pro Tonne CO2 absurd wenig, aber zumindest gibt es das Instrument, bei dem man nachschärfen kann.

Der Klimabonus, der im Herbst 2022 zum ersten Mal ausgezahlt worden ist, wurde dann aber politisch vor allem als finanzielle Unterstützung gegen die hohe Inflation im Sog der Energiekrise verkauft und als Impuls für den Privatkonsum. War es sinnvoll, das so zu vermengen?

Es gibt verschiedene ökonomische Ansätze, wie der Staat die Steuereinnahmen durch die CO2-Bepreisung am besten einsetzt. Erstens die Arbeit billiger machen, indem man die Steuern auf Arbeit drastisch senkt. Das könnte mittelfristig, wenn die Besteuerung von CO2 erfolgreich ist, zu dem Problem führen, dass dem Finanzminister die Steuerbasis abhandenkommt. Niedrigere Steuern auf Arbeit und geringeres Steueraufkommen aus CO2, weil weniger emittiert wird. Da müsste man dann also nachschärfen und Arbeit wieder höher besteuern, und das ist dann schon wieder ein bisschen kompliziert zu erzählen. Die zweite Möglichkeit, das Geld aus der CO2-Besteuerung sinnvoll einzusetzen, wäre die Investition in grüne Infrastruktur, zum Beispiel den viel zitierten Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Und die dritte, die von der Regierung favorisiert wurde: eine Geldüberweisung an die Haushalte als Ausgleich für höhere Energiepreise.

Das klingt nicht so, als wäre das auch Ihr Favorit gewesen.

Nein, meine Präferenz wäre eindeutig gewesen, das Geld in erneuerbare Energie und den öffentlichen Verkehr zu stecken – das habe ich auch immer so kommuniziert. Ökonomisch und ökologisch gesehen ist es nicht sehr gescheit, mit diesem Geld das verfügbare Einkommen der Haushalte zu erhöhen, weil wir ja genau wissen, dass die Emissionen ganz stark an die verfügbaren Einkommen gekoppelt sind. Politisch gesehen kann ich aber natürlich nachvollziehen, dass dieser Weg gewählt wurde, weil man damit eine positive Einstellung in der Bevölkerung zu Klimaschutzmaßnahmen erzeugen wollte. 

Wir stehen bei 30 Euro pro Tonne CO2 mit einem Pfad zu 55 Euro im Jahr 2025. WIFO-Chef Gabriel Felbermayr sprach unlängst davon, dass 300 Euro angemessen wären, vom deutschen Umweltbundesamt kommt die Zahl 800 Euro als angemessener Preis. Wo würden Sie sich einordnen?

300 Euro pro Tonne wäre tatsächlich eine gute Ansage, da stimme ich Felbermayr zu. Wenn ich alle gesellschaftliche Kosten, die durch klimaschädliche Gase verursacht werden, hineinrechne, kommt man wahrscheinlich leicht auf 500 oder 800 Euro pro Tonne. Die Frage ist aber, ob wir alles, was an Veränderung notwendig ist, um die Klimaziele zu erreichen, über den Preis regeln. Da stoßen wir schnell an Grenzen, besonders was die soziale Verträglichkeit betrifft.

Was wäre die Alternative? 

Gebote, Verbote und strenge industrielle Standards. Es ist doch so: Marktorientierte Instrumente wie die CO2-Bepreisung haben sich seit den 90er-Jahren durchgesetzt, weil man davon ausgeht, dass sie die volkswirtschaftlichen Kosten minimieren. Aber wenn wir uns die effektivsten umweltpolitischen Maßnahmen anschauen, dann waren das oft Ge- und Verbote. Erinnern Sie sich an die Diskussion um FCKW in den 1980er-Jahren und den dadurch angerichteten Schaden in der Ozon-Schicht unserer Atmosphäre. Da gab es einen politischen Willen, eine Entscheidung im Montreal-Protokoll, und in relativ kurzer Zeit wurde ein riesiges Umweltproblem in den Griff bekommen. Da wurde nichts mit Preisen oder sonst etwas versucht, sondern es wurde eine technologische Alternative vorgeschrieben. Ich präferiere eindeutig den sogenannten Vermeidungskostenansatz, wobei die CO2-Bepreisung klug mit anderen Regulierungsmaßnahmen kombiniert wird.

Machen wir es konkret: Was würde das für den Individualverkehr bedeuten?

Gern. Es wird nicht viel bringen, den Benzinpreis auf vier Euro pro Liter anzuheben. Das wird soziale Verwerfungen verursachen, weil sehr viele Menschen derzeit noch auf das Auto angewiesen sind, nämlich überall dort, wo die öffentlichen Verkehrsmittel nicht gut ausgebaut sind. Genauso werden viele Klein- und Mittelbetriebe so hohe Benzinpreise nicht an ihre Kunden weitergeben können. Da kann die Lenkung über den Preis niemals die notwendigen Veränderungen herbeiführen. Anders mit Ge- und Verboten: Strengere Tempolimits führen zu einer deutlichen Reduktion der CO2-Emissionen, kosten niemanden etwas und haben nebenbei viele weitere positive gesellschaftliche Effekte. Genauso lässt sich mit strengen technologischen Standards sehr viel erreichen, zum Beispiel das angekündigte Ende für den Verbrennungsmotor in der EU. An die Effektivität von solchen Maßnahmen kommt man über eine reine Preissteuerung einfach nicht heran. Und trotzdem ist die Bepreisung ganz wesentlich. Wir Ökonominnen und Ökonomen sind ja selten einer Meinung, aber bei der CO2-Besteuerung ist das der Fall. Nur dürfen wir nicht übersehen, dass weltweit nur 22 Prozent der CO2-Emmissionen überhaupt einen Preis haben und dieser vielerorts viel zu niedrig ist. Das ist also noch eine riesige Baustelle. 

Mitte August vermeldete die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler stolz, dass die Emissionen von Treibhausgas im Vergleich zum Vorjahr um 6,4 Prozent zurückgingen. Wie ordnen Sie das ein, ist der Jubel berechtigt? 

Der Jubel ist berechtigt, denn erstmals haben wir in Österreich entschiedene Schritte in Richtung Energietransition und ambitionierte Klimapolitik gesehen. Doch fehlen noch immer wichtige strukturelle Grundlagen wie zum Beispiel das Klimaschutzgesetz, das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz oder das Energieeffizienzgesetz. Und es besteht die Gefahr, dass ein Teil der im Vorjahr wirksamen Effekte flüchtig sind. Es war ein warmer Winter, und durch den Krieg in der Ukraine war Energiesparen ein großes Thema.

Ist ein Rückgang von sechs Prozent pro Jahr denn ausreichend?  

Es gibt keine Evaluierung, die diese Zurechnung vornimmt, aber sechs bis sieben Prozent Reduktion ist genau, was wir nun jedes Jahr schaffen müssen. Es braucht also die strukturellen Grundlagen, damit der Erfolg sich nicht verflüchtigt.

Die Klimaziele der Bundesregierung sind grundsätzlich sehr ehrgeizig formuliert, aber nach derzeitigem Stand nicht erreichbar. Was raten Sie?

Der nationale Energie- und Klimaplan, der gerade in öffentlicher Konsultation ist, gibt die Richtung vor, nur gibt es da eine Lücke von 13 Prozentpunkten oder rund sieben Millionen CO2-Tonnen im Jahr. An Vorschlägen, wie man diese Lücke schließen könnte, arbeiten auch eine Reihe von Wissenschaflerinnen und Wissenschaftlern gerade. Aber im Grunde ist ambitionierte Klimapolitik keine Raketenwissenschaft. Die Dinge liegen alle am Tisch, beziehungsweise in der Schublade. Woran es mangelt, ist der politische Wille und Climate Leadership, welche die Richtung klar vorgibt und alle ökonomischen Akteurinnen und Akteure befähigt, die notwendigen Entscheidungen zu treffen.

Seitens der Politik hört man oft, Österreich sei ohnehin ein Umweltmusterland. Was sagt die Umweltökonomin dazu?

Es gibt kaum einen schädlicheren Satz als diesen. Und ich konnte auch noch nicht herausfinden, wo diese Behauptung eigentlich herkommt. Sie ist nämlich schlicht und ergreifend falsch, wir sind kein Musterland. Ja, wir sind beim Gewässerschutz gut unterwegs und haben eine hohe Recycling-Quote – das wars aber auch schon.

Da hört man dann oft: Aber unsere Wasserkraft!

Es war natürlich schlau und vorausschauend, in den 1950er-Jahren die großen Wasserkraftwerke zu bauen, aber was hat sich da in den vergangenen 30 Jahren getan? Der Anteil der Wasserkraft ist zuletzt gesunken, weil der Verbrauch gestiegen ist und die Kapazitäten beinahe konstant blieben. Unterm Strich gilt: Wir sind kein Musterland, davon müssen wir uns endlich verabschieden, sonst kommen wir nie weiter. 

Stattdessen steuern wir auf enorme Strafzahlungen zu, wenn wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Wissen Sie, in welcher Größenordnung sich das abspielen wird?

Das letzte Mal hat es uns zwischen 400 und 500 Millionen Euro gekostet. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls haben wir uns verpflichtet, die Emissionen um 13 Prozent zu senken. Tatsächlich sind sie um 13 Prozent gestiegen. Selbstverständlich wäre es gescheiter gewesen, diese knappe halbe Milliarde in die thermische Sanierung von Gebäuden zu investieren. Die nächsten Strafzahlungen sind an das Pariser Klimaabkommen geknüpft, werden erst 2030 fällig, aber so viel steht fest: Diesmal wird es um Milliarden gehen. Aber bis dahin sehen sich viele der heutigen Entscheidungsträger vermutlich schon ganz woanders. Es ist ein riesiges Problem, dass Legislaturperioden nicht mit den Planungshorizonten zusammenpassen. Daher wäre es so wichtig, dass die Politik auch kurzfristige Ziele formuliert. Darüber, was langfristig notwendig ist, gibt es mittlerweile ein breites Verständnis, nur will leider kaum jemand kurzfristig etwas tun. 

Jahrelang wurde in der Debatte das individuelle Verhalten von Konsumenten sehr stark in die Pflicht genommen. Da gab es einen Wandel, oder?

Ja und das halte ich auch für gut. Bezüglich ihres individuellen Konsumverhaltens würde ich den Menschen relativ wenig Verantwortung zuschreiben. Sie agieren innerhalb der bestehenden Regelwerke, müssen ihre Kaufentscheidungen danach treffen, was sie sich leisten können und welche Informationen sie zur Verfügung haben. Meistens sind nicht nachhaltige Produkte billiger als nachhaltige. Und herauszufinden, welches von zwei Produkten tatsächlich einen besseren ökologischen Fußabdruck hat, ist schon fast ein unzumutbarer Aufwand. Dennoch dürfen wir das Individuum nicht aus seiner ­Verantwortung entlassen, nämlich da, wo ihm in einer Demokratie eine besondere Rolle zukommt, als Bürgerin oder Bürger bei jeder einzelnen Wahl. Und wir dürfen nicht naiv sein: Neben der Politik und den Konsumenten gibt es die Industrie, die ja nicht neutral nach den Wünschen der Konsumenten produziert oder keinerlei Einfluss auf die Politik nimmt. Von ihr geht eine ungeheure Macht aus. Das hat man auch bei der Einführung des CO2-Emissionshandels in der EU vor fast 20 Jahren gesehen. Das ist eigentlich ein hervorragendes Instrument, weil es die Emissionen kontingentiert, also tatsächlich begrenzt. Während eine Besteuerung Anreize bietet, schafft man mit der Kontingentierung unumstößliche Fakten. Das Problem war allerdings, dass die Industrie so stark lobbyiert hat, dass diese Kontingente immer größer wurden und dass Unternehmen mit besonders großen Emissionen eine Zeit lang ausgenommen wurden.

Wie erleben Sie in Ihrer Arbeit die großen Interessenvertretungen wie Industriellenvereinigung oder Wirtschaftskammer?

Mein Eindruck ist, dass sie sich nicht so sehr als Vertreter der innovativen Unternehmen sehen, die seit Jahren auf eine ambitioniertere Klimapolitik pochen und positiv an die Veränderung herangehen, sondern eher als Schutzpatrone der Nachzügler. Es tut der Wirtschaft insgesamt nicht gut, wenn man sich besonders für jene in die Bresche wirft, die eigentlich keine Zukunft mehr haben. In Österreich gibt es leider eine sehr stark ausgeprägte Subventionskultur. Wer strukturelle Probleme hat, wird gefördert. Das ist problematisch, denn wir müssen akzeptieren, dass es besser ist, gewisse Dinge loszulassen – natürlich in sozial verträglicher Form. Wirtschaftszweige ohne Zukunft am Leben zu erhalten, kostet furchtbar viel Geld und verzögert nur einen dringend notwendigen Wandel. Der Innovation muss auch Exnovation gegenüberstehen, also das Beenden nicht nach­haltiger Technologien oder Praktiken, wie etwa der verbreitete motorisierte Individualverkehr. 

Seitens der Klimaktivisten wird immer öfter ein Begriff ins Spiel gebracht, nämlich ›Degrowth‹. Was halten Sie als Ökonomin davon?

Da muss man unterscheiden zwischen Degrowth als sozialer Bewegung einerseits und als wissenschaftlichem Projekt andererseits. Der sozialen Bewegung attestiere ich, dass sie dringend notwendig war und ist. Seit einigen Jahrzehnten ist das Wirtschaftswachstum, also die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes, die zentrale Messlatte für alles andere. Man geht davon aus, dass alle anderen gesellschaftlichen Ziele besser erreicht werden, wenn diese Kennzahl steigt. Für manches, wie etwa den Sozialstaat, stimmt das vielleicht sogar, weil ich bei mehr Wirtschaftsleistung auch mehr Geld für Sozialausgaben zur Verfügung habe. Aber beim Thema Klima und Umwelt stimmt es ganz bestimmt nicht. Und es ist der große Verdienst der Degrowth-Bewegung, dass sie auf diese völlig verkürzte Betrachtung von Wirtschaft hinweist. Als wirtschaftswissenschaftliches Projekt ist die Forderung nach Degrowth, also negativem Wachstum, absurd, und das wird auch kein Ökonom, keine Ökonomin ernsthaft fordern. Das Bruttoinlandsprodukt sollte für uns ein Mittel zum Zweck sein, eine von mehreren Kennzahlen, die uns zur Verfügung stehen, aber nicht das eigentliche Ziel. Wenn wir die Klimaziele erreichen und gleichzeitig die Wirtschaft wächst, soll mir das recht sein. Aber ich glaube nicht, dass das in reichen Ländern wir Österreich möglich sein wird. 

Das heißt: Sie sehen die Klimaziele nur erreichbar mit einer sinkenden Wirtschaftsleistung? Das ist aber eine schlechte Nachricht!

Was ich meine, ist, dass in den bestehenden Strukturen Klimagase und Umweltprobleme stark mit dem Einkommen korrelieren. Je mehr Güter und Dienstleistungen wir produzieren, desto mehr Schaden richten wir in den Erdsystemen an. Mit veränderten Strukturen kann sich die Beziehung verbessern, aber wir müssen die Menge im Blick behalten und gegebenenfalls beschränken. 

Eines Ihrer Forschungsthemen ist Ungleichheit. Ist die Klimafrage letztlich eine Verteilungsfrage?

Natürlich. Es kann keine ambitionierte Klimapolitik geben, ohne dass die Verteilungsfrage ausverhandelt wird. Und das ist nichts Bequemes, da gibt es nicht nur Win-Win. Das führt unweigerlich zu Konflikten, die man austragen muss. Aber das ist möglich, das haben wir im Kleinen in der Stadt Ferlach gesehen, wo wir einen Prozess begleitet haben, im Zuge dessen die Bürgerinnen und Bürger von Ferlach gemeinsam einen Pfad festgelegt haben, um 2040 klimaneutral zu sein.  Da ist es teilweise heiß hergegangen, aber solche Konflikte muss man auf zivilisierte Art und Weise austragen. Eine der Hauptschwierigkeiten ist, dass wir mögliche Veränderungen fast nie als etwas Positives, Aufregendes erleben, sondern den Status quo oder die Vergangenheit als das Erstrebenswerte sehen. Aber stellen Sie sich vor, wie wir in 20 Jahren auf unsere vom Autoverkehr dominierten Städte zurückblicken werden. Das wird uns so komisch vorkommen wie heute, dass noch vor wenigen Jahren überall geraucht wurde.

Gerade viele konservative Politiker erhoffen sich die größten Wunder von noch zu erfindenden oder zu entwickelnden Technologien und fordern ›Innovation statt Verbote‹. Ist das mehr als eine faule Ausrede?

Es gibt drei große Einflussfaktoren auf unsere Umwelt: Bevölkerungswachstum, Wohlstand beziehungsweise Konsum und Technologie. Da ist es natürlich vordergründig am einfachsten, bei den Technologien anzusetzen. 

Im Bereich Carbon Storage und Capture passiert derzeit viel, bis dato ist die Speicherung von CO2 in unterirdischen Lagerstätten in Österreich aber noch verboten. Welche Rolle wird diese Technologie Ihrer Meinung nach spielen?

Das ist eine Technologie, die wir wahrscheinlich nutzen werden müssen, weil es uns nicht gelingen wird, die Emissionen in allen Bereichen komplett zu vermeiden. Aber es ist nur eine Notmaßnahme. Die Gefahr ist, dass wir uns darauf verlassen und glauben, wir müssten die Emissionen nicht zurückfahren, weil wir das später irgendwie in die Erde pumpen oder anderweitig loswerden. Das wäre dann nur eine Verlagerung des Problems. Die Leerräume unter der Erde, die wir derzeit haben, sollten wir uns meiner Meinung nach als letzte Möglichkeit aufheben, und nicht bereits jetzt, wo wir noch vergleichsweise viele andere deutlich bessere Möglichkeiten der Reduktion haben, vollpumpen. Daher halte ich das Verbot für gut und die derzeitige Diskussion darüber, dieses Verbot aufzuweichen, für schlecht.

Sie haben 1999 als erste Person weltweit mit einem Doktortitel in ecological economics, also Ökologischer Ökonomie, promoviert. Was haben Sie sich damals gedacht, wie es um klimataugliche Wirtschaft im Jahr 2023 stehen wird?

Ich dachte, wenn wir erst einmal die richtigen Analysen haben, werden wir auch eine viel bessere Form des Wirtschaftens haben. Das hat sich als naive Herangehensweise einer Ökonomin herausgestellt, die relativ wenig über Politik und Soziologie Bescheid weiß. Denn die besseren Analysen haben wir längst, doch es fehlt am politischen Entscheidungswillen und gesellschaftlichen Prozessen. 

Blicken wir auf verlorene Jahrzehnte zurück?

Ja, eindeutig! Zwar ist das Thema im Bewusstsein der Menschen angekommen, doch die politischen Entscheidungsträger haben die wissenschaftliche Evidenz ignoriert und lieber gewartet, bis es so weit kommt, dass wir es tatsächlich spüren, so wie in diesem Sommer auch wieder. Extreme Wetterereignisse werden massiv häufiger auftreten, damit müssen wir uns abfinden.

Menschen, die beruflich mit den Folgen der Erderhitzung zu tun haben, kennen alle den Begriff ›Climate Anxiety‹, also Klimaangst. Haben Sie auch Erfahrung damit?

Oh, ja, das kenne ich leider. Man braucht eine gefestigte Persönlichkeit, um im Klimabereich zu arbeiten, und selbst ein Kind zu haben, hilft da nicht gerade. Auf der anderen Seite empfinde ich es als Privileg, darüber nachdenken und publizieren zu dürfen. Worum es mir dabei geht, ist, dass wir von den Begriffen ›Angst‹ auf der einen Seite und ›Hoffnung‹ auf der anderen wegkommen und stattdessen Mut fassen, Veränderung als etwas zu begreifen, das positiv sein kann. 

Und wenn Sie selbst der Mut verlässt?

Dann gehe ich im Wald spazieren. Das hilft. Die Natur schenkt uns so viel, und sie schickt uns selten eine Rechnung. Aber wenn die Rechnung kommt, dann fällt sie heftig aus.