„Zuerst muss ich Fälschungen aussortieren“
Name: Anna Pflügel, 37
Beruf: Schätzmeisterin und Pfandleiherin
Wie sind Sie Schätzmeisterin geworden?
Ich habe ein Abendkolleg für Schmuckdesign besucht. In unserer Branche braucht man definitiv
eine fachliche Ausbildung. Manche haben Uhrmacher gelernt, andere Goldschmied. Als ich vor acht Jahren im Dorotheum begonnen habe, musste ich außerdem eine interne Ausbildung zum Schätzmeister machen.
Was machen Sie in Ihrem Beruf?
Ich sitze an einem Schalter, bekomme Schmuck, Uhren oder andere Wertgegenstände von Kunden und schätze ihren Wert. Manche möchten ihre Dinge dann pfänden, um kurzfristig Geld zu leihen, andere wollen direkt verkaufen. Wir versteigern die Sachen dann in einer Auktion oder geben sie in den Handel.
Was müssen Sie gut können?
Die Kunst liegt vor allem darin, herauszufinden, was der Kunde will. Viele kommen zu uns und fragen, wie viel ein bestimmter Gegenstand wert ist. Was sie dann damit machen möchten, wissen die meisten nicht genau. Da ist Beratung wichtig. Für einen Beruf, bei dem ich vor allem Wertgegenstände schätze, brauche ich also ein Gespür für Menschen.
Und abseits davon?
Ich bin auf Schmuck und Uhren spezialisiert. Wissen über Handtaschen eigne ich mir gerade an. Zuerst einmal muss ich Fälschungen aussortieren. Angenommen jemand bringt eine Rolex, dann schaue ich mir mit einer Lupe Details wie die Zeiger an. Spätestens am Uhrwerk würde ich eine Fälschung erkennen. Für Taschen haben wir eine Software angeschafft, die anhand von Detailaufnahmen Bilder abgleichen kann und so Fälschungen erkennt. Schmuck prüfe ich mittels Säuretropfen. Schäumt sie zum Beispiel grün, besteht der Gegenstand sicher nicht nur aus Gold.
Und dann?
Bin ich von der Echtheit überzeugt, schaue ich nach, um wie viel solche Gegenstände in der Auktion verkauft werden, gleiche sie mit dem Neupreis ab und kann so den Wert ermitteln.
Wer kommt zu Ihnen?
Leute aus allen Schichten. Manche haben Geldprobleme und verpfänden deshalb ihre Halskette, andere wollen ihre Rolex kurzfristig zu Geld machen, um sich dann eine weitere für die Sammlung zu kaufen. Am häufigsten habe ich Goldschmuck vor mir.
Welche Wertgegenstände gehen Ihnen nicht mehr aus dem Kopf?
Ich bin Schmuckliebhaberin und mag die Ära der Wiener Werkstätte, aus der ich einmal eine Brosche begutachten durfte. Mich interessiert auch die Geschichte hinter dem Schmuck. Zwei Beispiele aus dem Leben: Wir bekommen manchmal Eheringe, in die Daten eingraviert wurden, die in der Zukunft liegen. Oder Schmuck vom Ex, der nicht so wertvoll ist wie gedacht. Der absurdeste Gegenstand, den ich je in der Hand hielt, war ein penisförmiger Anhänger aus Gold mit Flügeln im Wert von 900 Euro.
Und wie viel bleibt Ihnen selbst am Ende des Monats?
Das Einstiegsgehalt für eine fertig ausgebildete Schätzmeisterin liegt bei 2.500 Euro brutto. Hinzu kommen Provisionen und Zulagen und vielleicht sogar eine Überbezahlung bei entsprechender Qualifikation. Ich verdiene circa 2.400 Euro netto.
Sehen Sie aktuell bestimmte Trends?
Ja. Rolex-Uhren sind die letzten Jahre über sehr gefragt und werden gebraucht sogar oft teurer gehandelt als beim Produzenten, weil Käufer so an der langen Warteliste vorbeikommen. Derzeit verkaufen viele Leute außerdem ihr Gold, weil der Kurs hoch ist. Und allgemein erkennen wir in der Statistik seit ein paar Jahren einen leichten Kundenanstieg, der vermutlich der hohen Inflation geschuldet ist. Die Leute brauchen eben Geld. •
Zahlen und Daten
In Österreich gibt es (Stand 2023) 109 Pfandleihunternehmen – eine fast gleichbleibende Zahl über die letzten Jahre. Laut WKO sind nicht alle Unternehmen davon aktiv tätig. Während das Dorotheum als größter Pfandleiher über hundert Mitarbeiter anstellt, bestehen einige nur aus Einzelpersonen. Das Gewerbe ist frei und kann daher ohne spezifische Lehre ausgeübt werden.