Auf der Suche nach dem verlorenen Kanon
Lange existierte ein literarischer Kanon, der zusammenfasste, was man zu lesen hatte. Und heute?
Hinauflesen. Das war einmal Programm. Hinauflesen kann sich nur, wer unten ist. Mit dem Linzer Parteiprogramm von 1926 unterstützte die Sozialdemokratische Partei ›alle Anstrengungen der fortgeschrittensten Schichten der Arbeiterklasse, sich die Errungenschaften der Wissenschaft und Kunst anzueignen‹. Damit identifizierte sich auch der Wiener Kreis, ein lockerer Zusammenschluss von Wissenschaftlern von Weltgeltung (Ökonom Otto Neurath, Physiker Moritz Schlick, Mathematiker Kurt Gödel), der keineswegs der Öffentlichkeit eine verdünnte Universitätsphilosophie vermitteln wollte, sondern das gesamte Spektrum der Theorie.
Hinaufheiraten. Das war auch einmal eine realistische Option. Dass die Partnerwahl immer homogamer wird, wie Soziologen sagen, verwundert nicht. Die Oberschicht bleibt samt Besitz, Wissen, Literatur und Theorie unter sich. Zum ökonomischen Kapital kommt das kulturelle, welchem (zumindestens in der Theorie) Distinktionswert beigemessen wird. Beweise? Einer könnte sein, dass eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine, die sich rühmt, die Elite unter ihren Lesern zu versammeln, ein enorm anspruchsvolles Feuilleton hat und Anzeigen für Autos mit sechsstelligen Preisen enthält.
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