„Covid hat die Musik schneller gemacht“

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Fotografie:
Ursula Röck
DATUM Ausgabe September 2024

Name: Anna Ullrich, 32

Beruf: DJ

Warum sind Sie DJ geworden?

Ich habe schon auf Homepartys immer für Musik gesorgt, nur saß ich vor einem Laptop statt dem Mixer. Während die anderen tratschten und tranken, scrollte ich stundenlang durch Youtube. Einem befreundeten DJ fiel das auf und er fragte, ob ich nicht probieren wolle aufzulegen.

Wo haben Sie dann das Auflegen gelernt?

Vor zehn Jahren nachmittags im Club SASS. Ein Freund ließ mich dort spielen, bevor die Partys losgingen. So etwas wie eine DJ-Lehre gibt es ja nicht. 

Wie hat sich seither die Clubszene verändert? 

Seit der Pandemie feiern viele Leute lieber zu Hause oder auf Open-Air-Partys. Und Covid hat die Musik schneller gemacht. Momentan sind lustige 90er-Sachen wieder in Mode, aber mit viel härteren Beats. Ich glaube, das ist eine Form von Ausbruch. In den Leuten hat sich etwas angestaut, das raus muss.

Was müssen Sie als DJ gut können, um Ihrem Publikum gerecht zu werden?

Ich brauche ein Gefühl für Musik. Es geht um das Verständnis von Tonarten und Takten, vor allem aber um guten Musikgeschmack. Es bringt nichts, wenn ich die Top Ten der Charts runterlaufen lasse. Am liebsten spiele ich Tracks, die noch niemand gehört hat. Ich scrolle stundenlang durch das Internet und ›jage‹ die besten neuen Songs. Und ich sollte selbst Lieder produzieren. DJ zu sein, ist viel mehr, als nur im Club zu stehen.

Nämlich?

Ich muss im großen Stil Social Media bespielen. Als ich begann, gab es Facebook. Das war schon anstrengend. Aber mit Tiktok ist es nicht zu vergleichen. 

Wie viel verdienen Sie als DJ?

Genug, aber vom Club allein könnte ich nicht leben. Das Geld kommt oft von privaten Events, zum Beispiel Louis Vuitton oder Chanel, wo ich keinen harten Techno auflege. Je mehr Musikrichtungen ich abdecken kann, umso öfter werde ich gebucht. Trotzdem habe ich ein unregelmäßiges Einkommen. Mal spiele ich vier Gigs in der Woche, mal keinen. Wenn ich tausend Euro Gage verlange, bleiben mir 400 Euro, nachdem ich Steuern und Management-Fee abgezogen habe. Im Schnitt komme ich so auf 1.500 bis 2.500 Euro pro Monat. 

Ist es als Frau schwieriger, DJ zu sein?

Es ist jedenfalls viel leichter geworden. Das merkt man auch am Dancefloor. Spätestens seit den MeToo-Fällen in der Technoszene – die ich übrigens bestätigen kann, auch wenn mir selbst nichts passiert ist – gibt es bei den meisten guten Events Awareness-Teams. Allgemein wird die Szene schon seit Jahren immer weiblicher. Als ich meine ersten Events organisiert habe, sind mir nach drei Monaten die weiblichen DJs ausgegangen. Heute ist es Standard, dass an einem Abend die Hälfte vorm Mixer Mädels sind.

Wie geht es Ihnen mit den späten Arbeitszeiten?

Das Auflegen in der Nacht frisst viel Energie. Ich habe keinen Schlafrhythmus. An einem Tag gehe ich um sieben Uhr morgens ins Bett, den nächsten bringe ich zur selben Zeit meine Tochter in die Schule. Wenn ich Auftritte habe, springt ihr Vater ein. Sie ist eine Woche bei ihm, eine bei mir. Weil ich oft am Wochenende arbeite, kann ich die Kleine dafür sonst gut von der Schule abholen. 

Wie kommen Sie damit zurecht?

Ganz gut. Ich kann Mama und DJ sein. Aber ich finde in letzter Zeit viel Freude darin, tagsüber DJ-Workshops zu geben. Wobei ich letztens völlig überfordert war. Vier Mädels, die mitgemacht haben, waren gehörlos, eine von ihnen hat gedolmetscht. Sie wollten wissen, wie ich auflege. Das klingt zuerst absurd, weil sie die Musik nicht hören, sie spüren aber den Bass. Ich spiele oft schnelle, harte Sets, und das lieben sie. 

Wie lange wollen Sie noch im Club stehen?

Ich werde das noch zehn Jahre machen – aber genau das habe ich auch gesagt, als ich vor zehn Jahren begonnen habe. •

Zahlen und Daten

Während es 2013 noch 3.214 aktive Bars, Tanzlokale und Diskotheken in Österreich gab, waren es 2023 nur noch 2.620. In wie vielen Nachtlokalen regelmäßig DJs auflegen, wird in keiner Form erfasst. 

Da DJs sogenannte ›Neue Selbstständige‹ sind und von der WKO nicht als DJs erfasst werden, existieren auch keine Daten dazu, wie viele DJs es hierzulande gibt. Die DJ-Gewerkschaft DECK plant allerdings, bald erstmals Zahlen dazu zu erheben.

Quelle: WKO / Verband der österreichischen Nachtgastronomen / DECK

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