David gegen Shell
Der Mineralölkonzern Shell will vor der Küste Südafrikas nach Erdöl und Erdgas suchen. Die lokale Bevölkerung reagiert mit Protesten, ein Gericht gibt ihr Recht: Shell muss die Untersuchung stoppen. Wie gelang der unwahrscheinliche Erfolg?
Es geht nicht nur um Shell‹, sagt Nonhle Mbuthuma, Umweltaktivistin in Südafrika. ›Es geht darum, unsere Rechte zu verteidigen.‹ Das kommt sie teuer zu stehen: Seit sie 2007 begann, gegen Bergbau und Erdöl-Projekte zu mobilisieren, erhält sie regelmäßig Morddrohungen, wie sie erzählt. Doch jetzt, so scheint es, gibt es Grund zu feiern: ›Wir haben gezeigt: Die Stimmen der lokalen Bevölkerung sind genauso wichtig wie die der Elite.‹
Shell, einer der größten Öl- und Gaskonzerne der Welt, plant vor der Küste Südafrikas – an der Wild Coast – eine seismische Untersuchung durchzuführen, ein Verfahren, das für die Suche nach Erdöl und -gas eingesetzt wird. Dazu werden Schallwellen auf den Meeresboden geschickt. Die Art, wie sie zurückgeworfen werden, zeigt, was sich unter der Oberfläche befindet. Unter Wasser entstehen dabei laute Knallgeräusche, die – und hier liegt das Problem – Meeresbewohner stark beeinträchtigen: bei der Kommunikation, bei der Orientierung, bei der Jagd.
Deshalb, so befürchten Teile der lokalen Bevölkerung, könnten Shells Pläne zur Bedrohung für die Fischbestände werden. Die aber sind die Lebensgrundlage vieler Menschen dort, die von der Fischerei leben. Jetzt hat ein südafrikanisches Gericht entschieden: Das Verfahren muss auf Eis gelegt werden – zumindest bis auf Weiteres. Wie gelang den Protestierenden der Etappensieg gegen die Interessen des Konzerns?
Ein Teil der Erklärung ist der Protest von Menschen wie Madenge Mzobe. Am 5. Dezember 2021 steht sie an der Mündung des Mzamba Flusses an der Küste Südafrikas. Gemeinsam mit hunderten Fischerinnen und Umweltaktivistinnen protestiert sie gegen die Pläne von Shell. Ihr Protest ist einer der größten in Südafrika seit Ende der Apartheid. Und Madenge Mzobe ist entschlossen, das Meer gegen die Suche nach Erdöl zu verteidigen. ›Geh und stirb, Shell‹, sagt sie. Die Frau lebt schon seit ihrer Kindheit an der Wild Coast. ›Wir leben vom Meer. Deshalb wehren wir uns‹, sagt sie.
Seit Mzobe sieben ist, lebt sie vom Fischfang. Ihr Dorf Sigidi liegt nur wenige Gehminuten vom Meer entfernt. Mzobe ist Freitaucherin, täglich fängt sie bis zu zehn Hummer. Sie hat keine Schule besucht, das Fischefangen hat sie von ihrer Mutter gelernt. ›Weiß Shell überhaupt, dass es Menschen gibt, die hier an diesem Strand, in diesen Wellen fischen?‹, fragt sie. ›Dass es Familien gibt, die von dem, was das Meer gibt, leben?‹ Wie Mzobe leben viele in der Region: Bei Ebbe suchen sie Hummer und Muscheln in flachen Felsbecken, nachts ziehen sie mit Stangen und Ködern ins Meer oder sie tauchen nach den Hummern.
›Der Ozean ist meine Lebensader‹, sagt Fischerin Mzobe. Sie bekommt eine kleine Pension, mit dem Fang der Hummer und dem Verkauf von Süßkartoffeln und Taro, einer kartoffelähnlichen Pflanze, verdient sie den Rest des Geldes, das sie zum Leben braucht.
Mzobe kann nicht sagen, wann sie geboren wurde, kann nicht schreiben oder lesen. Aber Fische fangen ist ihre Kunst. Sie kennt die Gezeiten und Wanderungsmuster der Fische. Und sie ist entschlossen: Sie wird nicht zulassen, dass Shell all das zerstört.
Shell will Mzobes Befürchtungen entkräften: Man sei darauf bedacht, die lokale Bevölkerung einzubeziehen und Ökosysteme nicht zu stören, verlautet der Konzern. Außerdem schaffe die neue Förderung von Erdöl und -gas Arbeitsplätze in der Region und trage zur Energiesicherheit bei. Auch unter den Anwohnerinnen und Anwohnern sind viele, die Hoffnung in die Suche nach neuen Erdöl- und Erdgasvorkommen setzen, sich Arbeitsplätze und Einkommen versprechen. ›Sie sagen, wir verschwenden unsere Zeit damit, gegen Shell zu protestieren‹, sagt die Umweltaktivistin Mbuthuma. Das sei immer wieder entmutigend gewesen. Trotzdem blieb sie dabei: ›Hier geht es nicht um Arbeitsplätze, sondern um das Überleben. Wir leben mit den Gewässern, den Meeren und dem Boden. Unsere Verbindung zur Natur hier ist heilig.‹
Am 14. Dezember 2021 reicht ein breites Bündnis aus Küstengemeinden, Umwelt- und Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten einen Dringlichkeitsantrag gegen die Untersuchungen von Shell ein. Aktivistin Mbuthuma ist Teil des Teams. Ein erster Antrag war am 3. Dezember abgewiesen worden. Auf das Urteil folgten massive Proteste. Jetzt ist die Bewegung entschlossen, es noch einmal zu versuchen und Shell aufzuhalten. ›Wir weigern uns zu erlauben, dass angebliche Investoren unter dem Vorwand, Arbeitsplätze zu schaffen, unser Land ausbeuten‹, sagt Aktivistin Mbuthuma. Für sie steht das Vorgehen von Shell für die historische Ausgrenzung der Kleinfischerei und ihrer Lebensweise.
Drei Tage nach dem Antrag entscheidet ein Gericht nach siebenstündiger Verhandlung, es werde zu einem späteren Zeitpunkt urteilen. Wann, ist ungewiss. Shell beharrt darauf, dass die lokalen Ökosysteme keinen Schaden nehmen würden. Die seismischen Untersuchungen seien sicher und würden dem Ökosystem nicht schaden, sondern verhielten sich ähnlich wie ›viele natürlich vorkommende und andere vom Menschen verursachte Meeresgeräusche‹, so ein Shell-Sprecher. Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität von Pretoria widersprechen: Seismische Untersuchungen könnten dem Leben unter Wasser sehr wohl schaden. ›Und vor allem können sie der erste Schritt zu sehr viel schwereren Konsequenzen sein, wenn mit den Bohrungen begonnen wird‹, schreiben sie im internationalen Online-Magazin The Conversation. Zudem seien neue Projekte zur Suche von fossilen Brennstoffen inkonsistent mit Südafrikas Klimazielen.
Für die lokale Bevölkerung gibt es ein weiteres Argument gegen die Bohrungen: Die Suche kollidiere mit ihrer kulturellen Identität: ›Der Ozean bringt Heilung, er ist unsere Lebensquelle‹, erklärt Masikisi Thumbu. ›Für uns ist das Wasser die Essenz des geistigen und körperlichen Lebens.‹ Thumbu ist seit 21 Jahren Sangoma, ein traditioneller südafrikanischer Heiler. Menschen wie er sind sehr wichtig für die lokale Bevölkerung: Laut einer im Jahr 2000 veröffentlichten Umfrage besuchen 84 Prozent mindestens dreimal jährlich einen Sangoma. Durch die Öl- und Gassuche von Shell sieht Thumbu seinen Beruf und die Tradition gefährdet: ›Der Ozean verändert sich und wird verschmutzt. Das macht es schwer, unsere Rituale wie früher durchzuführen. Dann können wir nicht mehr essen, heilen, leben‹, sagt Thumbu.
Für das Gericht ausschlaggebend ist am Ende aber ein anderer Vorwurf: Die Bevölkerung sei nicht in die Entscheidung eingebunden worden. Doch der National Environmental Management Act schreibt genau das vor: Das Gesetz wurde 1998 verabschiedet und soll einen kooperativen Umgang mit Entscheidungen im Umweltbereich sicherstellen. Eigentlich ist darin eine Bürgerbeteiligung vorgeschrieben. Shell habe dieses Verfahren umgangen: ›Man hat mit politisch nahestehenden Gruppen gesprochen und die Gemeinschaft ausgeschlossen. Wir lehnen diese Art der Beteiligung ab‹, sagt Neville Sonwabo van Rooy, Koordinator bei ›The Green Connection‹, einer Organisation, die sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit einsetzt. ›Wenn Shell weiß, dass es uns gibt, dass wir hier leben‹, sagt auch die Fischerin Mzobe, ›dann wäre es richtig gewesen, mit uns zu sprechen, uns zu fragen, was für uns wichtig ist.‹
Am 28. Dezember wird schließlich das Urteil des Gerichts verkündet: Mbuthuma und ihr Team haben gewonnen. Die Begründung: Shell sei seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, mit der Bevölkerung vor Ort das Gespräch zu suchen. Das Gericht erkennt außerdem die spirituelle und kulturelle Verbindung zum Meer an. Damit ist das Explorationsrecht, das auf der Grundlage dieses fehlerhaften Beteiligungsverfahrens erteilt wurde, rechtswidrig und somit ungültig. Shell müsse eine sinnvolle Beteiligung garantieren. Bis das geschieht, dürfen die Untersuchungen nicht durchgeführt werden.
Es ist ein Urteil, das die Umweltaktivistin Mbuthuma ›historisch‹ nennt, der Widerstand gegen Shell sei Teil eines alten Kampfes: Die Regierung und viele private Unternehmen hätten immer wieder versucht, die Region und ihre Reichtümer auszubeuten, sagt sie.
Dagegen wolle man sich wehren. ›Wir sehen, wie die Regierung uns immer wieder den Rücken zugekehrt und sich auf die Seite der gierigen Konzerne gestellt hat.‹ Für Mbuthuma gehört das Land rechtmäßig Menschen wie der Fischerin Mzobe, die im Einklang mit der Natur leben – und nicht großen Konzernen, die Gewinne machen wollen. Der Sieg habe auch sie überrascht. Aber: ›Wir sind überglücklich‹, sagt sie.
Es scheint also, als hätten die Protestierenden ihr Ziel erreicht. Während sie ihren Sieg feiern, warnen sie jedoch: In ein paar Monaten könnten die Untersuchungen weitergehen. Dann sehen sie die Einkommen von Menschen wie Mzobe wieder gefährdet. Aktivistin Mbuthuma möchte das verhindern: ›Unser Ziel ist es jetzt, den Menschen vor Ort klarzumachen, welche Rechte sie haben. Dann können wir uns gegen Unternehmen wie Shell wehren.‹ •
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