Der Geschmack der Straße
Kann uns die Fertigpizza von ›Haftbefehl‹ unsere Jugend zurückbringen?
Arbeiten Sie in einem Büro? Interessieren Sie sich für hochwertige Zutaten und gesundes, frisch gekochtes Essen? Haben Sie das Gefühl, dass Sie mit dem Alter immer fader werden? Vielleicht denken Sie ja auch an Ihre Jugend, die womöglich in die 90er- und 2000er-Jahre fiel. Vielleicht mochten Sie damals HipHop und seine aufregenden Geschichten als Kontrast zu ihrem langweiligen Mittelschichtleben, und vielleicht mögen Sie ihn deshalb heute noch. Dann kennen Sie wahrscheinlich den deutschen Gangsterrapper ›Haftbefehl‹, der Ihnen, die Sie noch nie größere Probleme mit der Staatsgewalt hatten, etwas über ein wildes Leben auf der Straße erzählt. Es geht da um Drogen, Gangster-Bruderschaft und Hass, den er ganz offen ausspricht, Sie dagegen immer nur über Umwege. Haftbefehl sagt: ›Bevor ich komm und dir deine Nase brech‹ oder ›Drauf seitdem ich dreizehn bin, ich hab es mir nicht ausgewählt.‹
Der geschäftstüchtige Haftbefehl (›Ich bin der Zuhälter, Deutscher Rap ist mein Bordell‹) hat jedenfalls einen neuen Weg gefunden, Leuten wie uns ›Para‹ aus der Tasche zu ziehen. Er vertickt seit einigen Monaten Tiefkühlpizza, die es in den großen Supermarktketten zu kaufen gibt. Die Pizza heißt in Anlehnung an den Hit ›Chabos wissen wer der Babo ist‹ Babo-Pizza und kommt von der Marke Gangstarella, die auch eine Pizzalinie des ebenso erfolgreichen Rappers Capital Bra vertreibt. Haftbefehls Sorten Salami und Chicken Hollandaise versprechen laut Verpackung ›eine Pizza von der Straße für die Straße‹ zu sein, was darauf hindeutet, dass die involvierten Texter von Haftbefehls rauer Poesie noch einiges lernen könnten. Das Produkt entspricht bei Verkostung den Erwartungen an eine nicht besonders gute, tiefgefrorene Pizza. Die gummiartige Salami, der harte Rand – wer weiß, vielleicht ist das doch der Geschmack der Straße, von Autoreifen und Beton? Die Pizza riecht mit ihrem plastikhaften Analogkäse wie Convenience Food, und ja, vielleicht sind Fertiggerichte der Geruch der Jugend, allerdings der traurige Teil davon und gar nicht besonders convenient in der Rückschau. Die Babo-Pizza ist einfach insgesamt bad news. Versuchen Sie besser, die bürgerliche Langeweile durch dröhnende Bässe, wildes Tanzen (hat auch weniger Kalorien!) und ein bisschen mehr rohe Wahrhaftigkeit im Alltag aufzubrechen. Das können Sie von Haftbefehl lernen. •
Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:
Bei Austria-Kiosk kaufen