›Die Wirtschaft beruht auf einem Irrtum‹
Wie mir Marc Elsberg vergeblich Ergodizität erklären wollte.
Marc Elsberg sitzt an einem Ecktisch im Café Florianihof, er hat zwei Eier im Glas bestellt – ohne Butterbrot oder Semmel, vor allem aber ohne Schnittlauch. Ich bemühe mich, mir meine Irritation darob nicht anmerken zu lassen. Wir wollen ja auch über sein jüngstes Buch › Gier ‹ sprechen. Darin präsentiert Elsberg einen re-volutionären Gedanken: Was wäre, wenn unser Wirtschaftssystem auf einem folgenschweren, 300 Jahre alten Irrtum beruht ? Wenn es mathematisch nachweisbar ist, dass die Bündelung von Ressourcen und die richtige Verteilung von Gewinn -al-
len mehr Wohlstand bringt, verlässlich und dauerhaft ? Das Buch ist spannend, aber das eigentlich Spannende ist:
Die Geschichte stimmt.
Es begann mit einem Zufall. Bei Recherchen zu einem anderen Thema stieß ich auf die Arbeit von Ole Peters und dessen Kollegen am London Mathematical Laboratory. Peters ist theoretischer Physiker und erforscht ganz grundsätzliche Gesetzmäßigkeiten dynamischer Systeme. Eine solche Eigenschaft ist Ergodizität, ein Begriff, der auf den österreichischen Physiker Ludwig Boltzmann zurückgeht. Kernaussage der Londoner ist, dass Kooperation eine unschlagbare Strategie der Evolution ist, und das ganz grundlegend und nachweisbar. Elsberg trat in Korrespondenz mit ihnen, quälte sich monatelang auf Englisch mit hochkom-plexen mathematischen und ökonomischen Fragestellungen, versuchte die -Ant-
worten zu verstehen, stellte neue Fragen und wurde schließlich nach London ge–
beten, nur um dort festzustellen, dass Ole Peters eigentlich aus Hamburg stammt.
Als Mathematiker vor rund 300 Jahren ein Glücksspielproblem nicht lösen konnten, erfanden sie die so genannte Nutzenfunktion, die im Wesentlichen sagt, Menschen würden so handeln, dass sie ihren Nutzen steigern. Nun sei Nutzen einerseits etwas sehr Schwammiges und Individuelles, viel schwerwiegender wäre aber andererseits, dass man bei den Durchschnittsberechnungen auf die zeitliche Dimension keine Rücksicht genommen hätte. Das ist ein brutaler konzeptueller Fehler. Vereinfacht: Alle darauf beruhenden öko-nomischen Modelle sind für dynamische Sys-teme nicht geeignet. Elsberg drang weiter in die Materie ein und entwarf eine simple Fabel (www.farmersfable.org), die er den Physikern zur Überprüfung vorlegte. Sie waren begeistert und meinten: Genau so etwas haben wir gebraucht. Denn sie haben Probleme bei der Vermittlung ihrer Arbeit, auch bei Ökonomen tun sie sich schwer. Genau das war der Moment, in dem Elsberg beschloss, daraus einen Roman zu machen.
Ähnlich wie dies schon nach seinem -ersten Erfolgsroman › Blackout ‹ der Fall ge–wesen war, als Elsberg von einem Energiekongress zum nächsten gereicht wurde, um über die Verwundbarkeit unserer Strom-infrastruktur zu sprechen, werden auch nun langsam Fachwelt und Politik auf sein Buch und das Thema aufmerksam. Die FAZ lud mich zu einem Streitgespräch mit dem deutschen Ökonomen und Wirtschaftsweisen Lars Feld, ich war auf Einladung der ÖVP beim Wirtschaftsforum Wachau und gestern beim Wachstumsgipfel der SPÖ Burgenland. Er schmunzelt. Aber auch aus Deutschland kommen vermehrt Anfragen. Ist › Gier ‹ und sein Gedankengerüst dahinter also ein prononciert linkes Buch ? Nein, gar nicht, auch wenn es mancherorts so wahrgenommen wird. Es zeigt sich aber, dass Vertreter des konservativen Lagers sich schwerer tun, es zu verstehen – oder es einfach nicht verstehen wollen. Vieles davon gilt als irrational, dabei hatten wir bislang einfach nur ein falsches Modell von Rationalität.
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