Diplomatische Halbwelten

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung soll einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher vor der österreichischen Justiz versteckt haben. Der Fall zeigt, wie groß der Reformbedarf der Behörde ist.

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Fotografie:
Jeff Mangione / KURIER / picturedesk.com
DATUM Ausgabe Mai 2021

Als die syrische Provinzhauptstadt ar-Raqqa im Frühjahr 2013 erstmals unter die Kon­trolle der Rebellen geriet, entschloss sich General Khaled H., das Land zu verlassen. Über die Türkei und Jordanien gelangte er 2014 nach Frankreich, wo ihm allerdings Asyl verwehrt blieb. Denn als Mitglied des Assad-Regimes und Leiter des allgemeinen Sicherheitsdienstes in Raqqa stand er unter Verdacht, für Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich zu sein. Als sich ein negativer Ausgang des Asylverfahrens in Frankreich abzeichnete, verließ Khaled H. abermals das Land. Im Juni 2015 erreichte er Österreich, wo er bereits sechs Monate später einen positiven Asylbescheid bekam.

Dass die österreichische Asylbehörde – wie sonst in so einem Fall üblich – kein Konsultationsverfahren mit Frankreich ­be­mühte und dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher noch dazu im Eilverfahren Asyl gewährte, wurde allem Anschein nach durch Interventionen des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) möglich. Wie der Kurier als erstes berichtete, sollen unter dem Codenamen › Operation White Milk ‹ Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in geheimer Kooperation mit dem israelischen Geheimdienst Mossad alles dafür getan haben, um dem syrischen General in Wien einen sicheren Unterschlupf zu gewähren.

Weswegen man Khaled H., der als ranghöchster im Schengen-Raum befindlicher Offizier des Assad-Regimes gilt, vor der Justiz verstecken wollte, lässt sich nur mutmaßen. Vieles deutet darauf hin, dass die › Operation White Milk ‹ eine Gefälligkeit des BVT gegenüber dem Mossad gewesen sein dürfte. Israel unterstützt im Syrienkrieg zwar die oppositionellen Kräfte, doch gerade deswegen könnte ein ranghoher Offizier des Assad-Regimes ein relevantes Zielobjekt für den Mossad gewesen sein. Sicher ist, dass die Staatsanwaltschaft Wien mittlerweile gegen den syrischen Ge­neral ermittelt, die Wirtschafts- und Korrup­tionsstaatsanwaltschaft wiederum wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs gegen Mitarbeiter des BVT und des BFA (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl).

Der Fall rund um den syrischen General ist bekanntlich nur eine unter vielen Episoden, mit der das BVT in den letzten Jahren von sich hören hat lassen : Sie reichen von den Versäumnissen im Vorfeld des Terroranschlags in Wien über die Verbindungen von BVT-Leuten zum Wirecard-Skandal bis hin zur rechtswidrigen Razzia 2018 und haben dazu geführt, dass das Vertrauen in den österreichischen Verfassungsschutz im In- und Ausland nachhaltig beschädigt wurde. Die sich überschlagenden Skandale zeichnen das Bild einer Behörde, die ihren Aufgaben nicht gewachsen ist und gleichzeitig von politischer Seite stark instrumentalisiert wird – weswegen politische Kommentatoren von einem ›Multiorganversagen‹ im BVT sprechen und die Behörde als › Selbstbedienungsladen ‹ der heimischen Politik bezeichnen. Mit der › Operation  White Milk ‹ vor Augen könnte man das Bild noch erweitern und von einem Selbstbedienungsladen für ausländische Geheimdienste sprechen.

Kooperationen zwischen Nachrichtendiensten sind an sich nichts Außergewöhnliches. Man könnte das Nachrichtendienstwesen durchaus als eine Art Schattendiplomatie bezeichnen, deren Kerngeschäft geradezu der Austausch zwischen internationalen Partnerdiensten ausmacht. Insbesondere ein kleines Land wie Österreich ist stark auf die Gunst mächtigerer Partnerdienste angewiesen. Es ist also durchaus plausibel, dass der › Operation White Milk ‹ aus Sicht des BVT nicht viel mehr als die Pflege der partnerschaftlichen Beziehung zum Mossad zu Grunde lag.

In diesem › Geben und Nehmen ‹ zwischen Geheim- und Nachrichtendiensten kommt es auch vor, dass man mit Diensten zu tun hat, deren rechts-ethische Auffassungen westlich-demokra­tischen Standards nicht entsprechen, ­sagen Kenner der heimischen Nachrichtendienste. Dennoch gebe es auch in diesen diplomatischen Halbwelten rote Li­nien, die für gewöhnlich nicht überschritten werden. Und was, wenn nicht die Vertuschung mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die damit einhergehende Missachtung völkerrechtlicher Verpflichtungen Österreichs sollte jenseits einer solchen Grenze liegen ?

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt allerdings, dass es in der Geschichte des österreichischen Nachrichtendienstwesens immer wieder zu so genannten › Kompensationsgeschäften ‹ mit fragwürdigen Partnern kam, wie der Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Riegler erläutert. Besonders abgründig ist etwa der Fall von Jan Robert Verbelen : Der 1947 wegen Mordes an belgischen Widerstandskämpfern zum Tode verurteilte SS-Obersturmbannführer war nach dem Krieg noch über Jahrzehnte als Informant für die österreichische Staatspolizei (die Vorgängerbehörde des BVT) tätig und soll im Gegenzug vom damaligen Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Oswald Peterlunger, vor der belgischen Justiz geschützt worden sein. Kooperationen zwischen Veteranen der NS-Geheimdienste und westlichen Geheimdiensten waren in der Nachkriegszeit alles andere als eine Seltenheit : So kommt eine Studie des Journalisten Eric Lichtblau aus dem Jahr 2014 zum Schluss, dass mindestens tausend frühere Nationalsozialisten von US-Diensten als Spione beschäftigt wurden.

Die Frage, wie weit eine nachrichtendienstliche Behörde in Österreich gehen darf, ist eine, die man sich hierzulande bisher nur wenig gestellt hat. Schon in den gesetzlichen Grundlagen zeigt sich, dass die Aufgaben und Befugnisse sowohl des BVT als auch der Heeresnachrichtendienste alles andere als umfassend definiert sind. Für Riegler ist die fehlende politische Auseinandersetzung mit den staatlichen Kompetenzen im Nachrichtendienstwesen zum einen durch das historische Erbe des Nationalsozialismus zu erklären. Die Erinnerung an den Gestapo-Terror und die Angst vor einem sich verselbstständigenden Geheimdienstapparat sitzen tief im kollektiven Bewusstsein, weswegen sich die Politik lange Zeit davor gehütet hat, dieses heiße Eisen anzufassen. Gleichzeitig hat Österreichs Neutralität zu einer gewissen Sorglosigkeit im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit beigetragen.

Doch Fälle wie jener der › Operation White Milk ‹ zeigen, wie abhängig Österreich aufgrund des schwach ausgeprägten Nachrichtendienstwesens von internationalen Partnerdiensten ist. Ein zunehmend angespanntes weltpolitisches Klima führt dazu, dass Österreich sich in Zukunft tendenziell noch weniger aus internationalen Angelegenheiten heraushalten wird können. Auch vor diesem Hintergrund ist die kürzlich beschlossene Reform des BVT, aus dem die DSN (Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst) werden soll, ein längst fälliger Schritt.

Kern der Reform wird die Aufspaltung der Behörde in eine nachrichtendienstliche und eine sicherheitspolizeiliche Säule sein, was vor allem zu einer Verbesserung in Bezug auf Informationssicherheit und zu mehr Handlungsspielraum für den nachrichtendienst­lichen Teil der Behörde führen dürfte. Des Weiteren ist auch eine Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle sowie eine Professionalisierung der Posten­besetzungen angedacht. Vor allem von Letzterem wird abhängen, ob es gelingt, das erschütterte Vertrauen in die Behör­de wieder herzustellen. Denn schließlich können nur Menschen, die dort arbeiten, dieses wieder aufbauen. •