Wir feiern sechzig Jahre Römische Verträge, zugleich erleben wir den Brexit. Wie sollen wir in dieser Situation in der EU der 27 Staaten weitermachen, welche Fragen müssen wir uns stellen?
Das Europäische Parlament verabschiedete im Februar Reformvorschläge für die EU. Es geht um ehrgeizige Vertragsänderungen zur Demokratisierung der Union – etwa die Überarbeitung des Europawahlrechts und die Abschaffung nationaler Vetorechte im Europäischen Rat. Im März präsentierte dann die Europäische Kommission ein ›Weißbuch zur Zukunft Europas‹. Sie skizzierte darin fünf Szenarien, spielte aber insgesamt den Ball an die Mitgliedsstaaten zurück und schuf damit eher eine Diskussionsgrundlage. In der ›Erklärung von Rom‹ Ende März schließlich plädierten die Staats- und Regierungschefs sowie die Chefs der EU-Institutionen für eines der Szenarien, nämlich das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten.
Doch zuerst: Wie sehen die verschiedenen Szenarien aus?
Szenario 1 heißt ›Weiter wie bisher‹ und gilt als Bestätigung des EU-Kurses.
Szenario 2 beschreibt mit seinem ›Schwerpunkt Binnenmarkt‹ die EU als reine Wirtschaftsgemeinschaft. EU-Regulierungen würden massiv abgebaut. Außen-, sicherheits-, umwelt- und sozialpolitische Fragen müssten die nationalen Regierungen zwischenstaatlich regeln.Ein negatives Minimalszenario.
Szenario 3: ›Wer mehr will, tut mehr‹. Das erlaubt Gruppen von Mitgliedsstaaten, in bestimmten Bereichen – etwa Verteidigungs-, Sicherheits- oder Steuerpolitik – enger zusammenzuarbeiten, während andere beim Status quo (Szenario 1) bleiben. Das Ergebnis wäre ein ›Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten‹. Dieses Szenario gilt als realistisch. Vorbilder sind die Euroeinführung und Schengen. Es sind keine Änderungen des EU-Vertragswerks nötig.
Szenario 4 setzt auf ›Weniger, aber effizienter‹ und meint damit starke Prioritätensetzungen bei der Tätigkeit der EU. Es gäbe für manche Themen mehr, für andere weniger gemeinsame Regeln. Das Szenario gilt als interessant, aber schwierig umsetzbar, weil teilweise Änderungen der EU-Verträge nötig wären.
Szenario 5 schließlich, ›Viel mehr gemeinsames Handeln‹, beschreibt den Fortgang der Vertiefung hin zu ›mehr Europa‹. Das bedeutet, von der Außen- über die Sicherheits- und Umwelt- bis zur Wirtschaftspolitik ›in allen Bereichen mehr Machtbefugnisse und Ressourcen zu teilen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen‹. Das gilt als eher unrealistischer Extremvorschlag, weil es als Überschreitung der Kompetenzen wahrgenommen würde.
Auch wenn all diese Schritte und Deklarationen nicht verkehrt sind, sind sie unzureichend. Der Fokus auf ›Output Legitimation‹, also Ergebnisorientierung, ist ohne Ideen für die ›Input Legitimation‹, nämlich wie Bürgerbeteiligung verstärkt werden kann, zu wenig. Eine Regierungsform der Souveränitätsteilung kann im 21. Jahrhundert nicht ausschließlich von der Exekutive getrieben werden. Es geht jetzt ›um Verfahren, durch die sich die Bürger selbst an der europäischen Politik beteiligen können und das Gefühl gewinnen, dass die zuletzt getroffene Entscheidung – ob sie sie im Einzelnen begrüßen oder nicht – das Ergebnis einer fairen demokratischen Willensbildung ist‹, urteilt der EU-Blogger Manuel Müller.
Demnach ist die wichtigste Zukunftsfrage jene nach der europäischen Demokratie. Hier sind die EU-Abgeordneten, die 10.000 Abgeordneten unserer nationalen Parlamente – aber auch wir als Bürgerinnen und Bürger gefragt.