Herr der Lage
Der österreichische Oberst Markus Reisner erklärt über die Landesgrenzen hinweg den Ukrainekrieg. Wer ist der Mann, der unser Bild davon so maßgeblich prägt?
Markus Reisners erster Termin an diesem Novembertag geht schief. Beim Europa-Forum in der Diplomatischen Akademie hätte er eigentlich mit der ukrainischen Politikwissenschaftlerin Hanna Shelest diskutieren sollen. Aber nach Reisners Vortrag vergisst der Moderator die über Video zugeschaltete Diskutantin. Während die beiden Männer mit Blick ins Publikum die Siegeschancen der Ukraine analysieren, beobachten die Zuhörer eine zunehmend schnaubende Frau, projiziert auf die drei mal vier Meter große Leinwand dahinter.
›Jeder hat sich gedacht, die Leopard-Panzer werden den Unterschied machen, aber das war nicht der Fall, weil der Ukraine die dazu nötigen militärischen Fähigkeiten fehlen‹, sagt Reisner, während er auf einer Folie auf das Foto mehrerer zerstörter ukrainischer Panzer deutet. Reisner trägt den Spitznamen Oberst-say-it-blunt, was so viel bedeutet wie: Oberst-sag’s-direkt. Er macht in seinen Auftritten immer wieder darauf aufmerksam, wenn er über die fehlende Unterstützung der Ukrainer durch die EU oder die gescheiterte Offensive des Landes spricht. Seine Art, den Krieg zu erklären, ist geradeaus, verständlich – und kann deshalb auch weh tun.
Diese Eigenschaft ließ ausgerechnet ihn, Oberst im Heer eines neutralen Staates, zu einem vielgefragten Kriegserklärer aufsteigen. Seine Youtube-Videos zur russischen Invasion erreichen bis zu 1,7 Millionen Menschen, im Schnitt eine hohe sechsstellige Zahl. Von der New York Times bis zum russlandnahen Onlinemedium Exxpress lassen sich alle vom österreichischen Oberst den Krieg erklären. Unlängst wurde Reisner sogar nach Harvard geladen, um seine Analysen vorzutragen. Wer sich mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt, kommt an ihm kaum noch vorbei.
Mit seiner neuen Rolle prägt Reisner daher unser Bild vom Krieg in der Ukraine. Er war einer der ersten, der die vergangene Sommeroffensive für gescheitert erklärte. Gleichzeitig tritt kaum jemand mit so viel Nachdruck für Waffenlieferungen an die Ukraine ein.
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