Hydro-Homies und das Gesetz der Reinheit
Warum Wasser sich derzeit so gut vermarkten lässt.
Es gibt so viel, was man falsch machen kann. Fleisch essen, Flugreisen, Autofahren (weil Klimakatastrophe), Kinder kriegen (weil Überbevölkerung), keine Kinder kriegen (weil später fehlende Steuerzahler). Dinge, die in der Leistungsgesellschaft als unbedenklich gelten, sind: viel arbeiten, dabei lächeln und Engagement vermitteln, Sport machen und Wasser trinken. Wasser schadet niemandem, der Mensch besteht zu 70 Prozent aus Wasser, es ist das Richtige, es ist gesund und natürlich. In der Schlagermusik gilt Wasser seit jeher als Symbol für Reinheit und Klarheit in einer heilen Welt (etwa in ›Wild’s Wasser‹ der Seer oder in Reinhard Fendrichs ›I am from Austria‹).
Schon lange wird das stetige Wassertrinken erzieherisch als Gesundheitsmaßnahme propagiert. Und spätestens ab den 2000ern war es ein Geschäftszweig. Plötzlich gab es stilles Wasser (vormals: Leitungswasser) in Plastikflaschen zu kaufen, kein Hörsaal-Tisch konnte mehr ohne Trinkflasche sein, kein Büroschreibtisch ohne Wasserkrug. Heute hat sich diese Health- und Wasserobsession um weitere Konsummöglichkeiten erweitert. Statt Soda Zitron gibt es jetzt Zitronenwasser im Lokal (kostet gleich viel). Bei Cocktails gibt es neuerdings die Option ›Wellness‹ als Code für Wasser. Wodka Wellness zum Beispiel suggeriert Wohlbefinden, bedeutet aber mit Wasser gestreckter Schnaps. Früher hätte man das Wucher genannt.
Das US-Unternehmen Liquid Death verkauft seit 2017 in Aludosen abgefülltes Leitungswasser und vermarktet es umfangreich als Energydrink. Die Metalldosen sind explizit gegen umweltschädliche Plastikflaschen ›positioniert‹. Der Wert des Unternehmens liegt derzeit bei 1,4 Milliarden US-Dollar. Falls Sie jetzt den geistigen Allgemeinzustand der Welt hinterfragen, trinken Sie lieber mal einen Schluck Wasser. Zur weiteren Beruhigung empfehle ich noch das Reddit-Board HydroHomies. Dort posten Menschen ihre Lieblingstrinkbrunnen, Thermosflaschen, Eiswürfel. Weil Überhöhung manchmal die beste Form der Kritik ist. •
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