›Ich stelle mir Totsein erholsam vor‹
Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit Armin Wolf, Moderator der ›Zeit im Bild 2‹ im ORF.
Armin Wolf, wann haben Sie den Tod das erste Mal bewusst erlebt?
Da war ich fünfeinhalb. Wir sind wie jeden Samstag zu meinen Großeltern gefahren, die eine kleine Greisslerei in Innsbruck hatten. Auf der Stiege kam uns der Nachbar entgegen und hat meiner Mama ins Ohr geflüstert. Später habe ich erfahren, dass mein Opa, den ich sehr geliebt habe, beim Rasieren einen Schlaganfall hatte, in die Badewanne gekippt ist und tot war. Zu dem Begräbnis ein paar Tage später durften meine Schwester und ich nicht hingehen, weil meine Eltern fanden, wir seien noch zu klein dafür.
Wären Sie gerne hingegangen?
Es hat lange gedauert, bis ich das erste Mal auf einem Begräbnis war und erst viel später habe ich dann darüber nachgedacht, aber im Nachhinein hätte ich mich gerne von meinem Opa verabschiedet. Als ich 34 war, starb meine Mutter. Sie hatte Krebs, deshalb kam es nicht überraschend. Als ich vierzig war, starb meine Oma, zu der ich ein sehr enges Verhältnis hatte und wegen der ich so oft wie möglich nach Innsbruck gefahren bin. Ihr Tod hat mich sehr getroffen. Und dann ist vor fünf Jahren auch noch mein Vater gestorben.
Wie hat sich der Tod für Sie verändert?
Ich hatte zu meiner Mutter und zu meinem Vater ein sehr gutes Verhältnis, aber es ist etwas anderes wenn der zweite Elternteil stirbt – weil man plötzlich kein Kind mehr ist. Insofern war der Tod meines Vaters besonders einschneidend für mich. Ich war schon 45 und hatte trotzdem das Gefühl: Jetzt endet meine Kindheit. Natürlich hatte ich davor auch das Gefühl, erwachsen zu sein, aber tatsächlich habe ich da erst realisiert und gespürt: Jetzt ist es endgültig Zeit, erwachsen zu werden. (lacht)
Hat Sie der Tod über die Jahre beschäftigt oder wurde in der Familie darüber geredet?
Für meine Mutter war es eine Befreiung. Sie war sehr lange krank und wollte nur mehr sterben. Sie hatte Lungenkrebs und dann nach der Chemo noch eine gute Phase, aber dann war plötzlich ein Hirntumor da. Sie war nur mehr wenige Wochen im Krankenhaus, und hat sofort gesagt: Ich mag nicht mehr. Der Tod war für sie eine Erlösung. Meine Oma wurde 95, da kann man sich nicht beschweren. Bei meinem Vater war das anders, der war erst 75, hatte eine sehr seltene Form von Leukämie und es war nicht schön, zu sehen, wie dieser große und kräftige Mann jeden Tag schwächer wurde und immer mehr Probleme kriegte, ein Stockwerk hochzugehen. Diesen Jänner ist meine Tante gestorben: Sie hat vor eineinhalb Jahren die Diagnose Lungenkrebs im Endstadium gekriegt und dass sie nur noch ein paar Wochen zu leben hätte. Sie wollte keine Behandlung und aus den Wochen wurde ein halbes Jahr, dann ein ganzes. Ende November kam sie ins Hospiz, weil es ihr rapide schlechter ging. Ich habe sie häufig besucht und konnte ihr regelrecht beim Sterben zuschauen. Das war nicht schön. Ich finde es ganz wichtig, dass es Hospize gibt und die Arbeit, die da gemacht wird, ist großartig. Aber es war schlimm für mich zuzusehen. Sie hat vom ersten Tag an gesagt, dass es jetzt bitte schnell zu Ende gehen soll. Und dann lag sie da sechs Wochen am Rücken, bis sie trotz Spezialbett ganz wundgelegen war und dämmerte vollgepumpt mit Medikamenten vor sich hin, mit immer weniger wachen Momenten. Ich hätte mir für sie gewünscht, dass es schneller geht. Und ich würde das für mich so nicht wollen.
Hat Ihnen diese Erfahrung mit dem langsamen Sterben Angst vor dem Tod gemacht?
Ich glaube nicht, dass ich Angst vor dem Sterben habe. Ich hätte Angst vor dem Kranksein. Vor dem Dahindämmern, dem Siechen, monatelangen Schmerzen. Wenn ich morgen so umfallen würde wie mein Opa, wäre das okay für mich. Ich bin mit meinem Leben zufrieden und im Reinen. Es ist viel besser geworden, als ich es mir als Kind je vorgestellt hätte.
Worüber sind Sie denn froh in Ihrem Leben?
Dass ich eine wunderbare Familie habe und etwas offensichtlich gut gegangen ist, worüber ich mir sehr unsicher war, nämlich ob ich gut mit Kindern umgehen kann. Ich habe keine leiblichen aber zwei Bonus-Kinder, zu denen ich ein wirklich gutes Verhältnis habe, eine tolle Frau und wir haben ein sehr schönes Familienleben. Darüber bin ich froh. Mein Berufsleben ist auch deutlich interessanter als ich es mir mit 14 vorgestellt habe, als ich Bankbeamter werden wollte. Ich habe viele Dinge gemacht, mit denen ich nicht gerechnet hätte und war als Außenpolitik-Redakteur in Ländern, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie einmal sehen werde. Ich habe wunderbare Freunde, zum Teil seit dreißig Jahren und andere erst seit ein paar Jahren. Das ist schon sehr okay, mein Leben.
Gewichten Sie Arbeit und Privatleben?
Ich will schon so arbeiten, dass ich nicht das Gefühl habe, ich verschwende meine Lebenszeit. Aber würde ich bei den Euromillionen den Mega-Jackpot gewinnen, bin ich nicht ganz sicher, ob ich noch drei Mal die Woche um 22 Uhr in einem Fernsehstudio sitzen würde. Aber ein Jackpot würde nichts an meinem Privatleben ändern.
Wie wollen Sie sterben?
Ich würde gerne, wie die allermeisten Menschen wahrscheinlich, einfach umfallen und tot sein. Oder einschlafen und nicht mehr aufwachen.
Auch auf die Gefahr hin, dass Sie sich nicht verabschieden können?
Pff, muss man sich verabschieden? Das ist eigentlich nur traurig für die anderen.
Wie stellen Sie sich tot sein vor?
Schön. Und friedlich. Wie Schlafen, ohne zu träumen. Ich stelle mir tot sein sehr erholsam vor.
Sie haben mit Anfang 40 neun Monate in Ihrem Job pausiert und ein Sabbatical gemacht. Wieso war Ihnen das wichtig?
Weil ich ein MBA-Studium begonnen und gemerkt habe: Noch mal neben dem Job eine gute Thesis zu schreiben, wird mir zu viel. Ich habe ja am Tag nach der Matura beim ORF angefangen und nebenbei studiert – deshalb hat es bis zum Doktorat ja auch vierzig Semester gedauert. (lacht) Und da dachte ich, probier ich doch mal mit über vierzig ein halbes Jahr nur Studentenleben und es war einfach großartig!
Viele Menschen wünschen sich so eine Auszeit vom aktuellen Job zwar, haben aber Angst nochmal etwas zu verändern. Wie wichtig ist Ihnen das immer weiterlernen?
Wozu soll ich sonst älter werden? Ich finde ja, Älterwerden hat keine großen Vorteile, außer dass man gescheiter werden kann.
Viele Leute finden, Sicherheit ist ein Vorteil. Sie machen die Schule, kriegen einen Job und dann ist Leerlauf bis zur Pension, wo man manches neu beginnt.
Das ist doch total schrecklich! Vierzig Jahre Leerlauf ist doch grauenvoll. Ich freue mich nicht jeden Tag auf meine Pension, obwohl das dann sicher auch nett ist, aber ich lebe nicht darauf hin. Ich finde, eines der besten Dinge, die man im Leben machen kann, ist zu lernen. Deshalb ist Journalismus auch so ein super Job: Man lernt jeden Tag was dazu und wird dafür bezahlt. Ich muss das, was ich den ganzen Tag mache, auch mögen. Ich fände einen Job furchtbar, den ich jeden Tag acht Stunden herunterbiegen muss, damit ich ab 18 Uhr endlich tun kann, was mir Spaß macht.
Behalten Sie sich diese Option vor, dass Sie auch von einem Tag auf den anderen ihr Arbeitsleben ändern würden?
Wenn mich meine Arbeit nicht mehr freuen würde, würde ich was anderes machen, ja. Natürlich ärgere ich mich in diesem Job auch manchmal und bin frustriert. Aber wenn ich das Gefühl hätte, da ist nur Leerlauf und ich mache es nur noch, um meine Miete zu zahlen und mein wahres Leben beginnt erst nach der Sendung – das würde ich nicht aushalten. Dazu verbringe ich zu viel Zeit hier.
Sie stehen durch Ihre Arbeit sehr in der Öffentlichkeit, wie gehen Sie damit um? Hat das Einfluss darauf, wie Sie Ihr Leben leben?
Nicht sehr. Ich versuche halt, mich in der Öffentlichkeit nicht schlecht zu benehmen, aber das war vorher auch schon so, meine Mutter hat mich ja halbwegs erzogen. Ich hab auch früher nicht auf der Straße randaliert. Ich würde heute nicht mehr schwarz U-Bahn fahren, was ich – ich mache jetzt ein Geständnis, ist ja seit Jahrzehnten verjährt – mit Anfang zwanzig mitunter gemacht habe. Im Standard-Forum hat mal wer geschrieben, der Wolf muss ein Arschloch sein, der hat sich im Reisebüro bei einer langen Schlange vorgedrängt und dabei gesagt: ›Wissen sie nicht, wer ich bin?‹ Ich dachte, ich werd nicht mehr, als ich das gelesen habe. Bevor ich sowas machen würde, falle ich lieber tot um. Das wäre mir so wahnsinnig peinlich.
Was wollen Sie in diesem Leben noch machen?
Bis vor ein paar Jahren hätte ich gesagt: Klavierspielen und Französisch lernen – aber beides werde ich wohl nicht mehr schaffen. Klavier zu lernen habe ich mehrfach probiert, aber ich bin zu undiszipliniert und ich kann auch keine Noten lesen. Ich habe ja einen Traum, mit dem ich gerne reich werden würde, wenn ich wüsste, wie es technisch geht: Tabletten zu erfinden, die einem gewisse Fähigkeiten geben. Also Tabletten, mit denen man Sprachen oder musikalische Fertigkeiten einfach schlucken könnte. Die kosten dann unterschiedlich viel, zum Beispiel zehn Euro für die Tablette ›Touristen-Italienisch für ein Wochenende‹ oder 10.000 Euro für ›fünf Jahre Mandarin verhandlungssicher‹. Oder ›Konzertpianist lebenslang‹ um 50.000 Euro. Die würde ich mir zusammensparen. Ich würde sehr gerne meiner Frau am Abend Bach-Sonaten vorspielen.
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