Jetzt, wo der Strache weg ist

DATUM Ausgabe Dezember 2019

Vor vielen Jahren hielt ich in München einen Vortrag, dessen Titel so sehr auf der Hand liegt, dass ich ihn besser nicht sagen sollte, er ist mir schon so oft ge­­klaut worden. Der Titel lautete : Tracht und Niedertracht. › Unsere Werte ‹, beschworen von der berühmten Rede des Kunasek im Bierzelt, haben mich an das Thema erinnert : › Aber eines ist schon klar, liebe Freunde ‹, sagte Kunasek zu seinen lieben Freunden, › unsere Lebensart hier in der Steiermark und in Österreich – wir trinken gerne a Bier, wir essen manchmal an Schweinsbraten und a Schnitzel. Manchmal a a bissl vü. Aber liebe Freun­de, das ist unsere Kultur, das sind unsere Werte. ‹

Manchmal kommen aus den Lieder­büchern in der Steiermark noch ganz andere Werte zum Vorschein als die eines harmlosen Phäakentums, das man › uns ‹, jedenfalls den › lieben Freunden ‹, leicht andichten kann. Kunaseks freundliche Worte waren ein Teil seines Abwehrkampfes gegen Religionen, die anderen Speisevorschriften den Vorzug geben und die vielleicht unsere › Lebensart ‹ unterwandern wollen. Dazu fällt mir ein Interview ein, das der Parteiintellektuelle Mölzer gab, sachkundig über die Identitären. Diese Heißsporne seien halt von ihrer Jugendlichkeit inspiriert und redeten von solchen Sachen wie › Bevölkerungsaustausch. ‹ – › Aber hören Sie ‹, sagte der Ra­­dioreporter, › Sie haben doch selbst so gerne von ‚Umvolkung’ gesprochen. ‹ – › Ja, ‚Umvolkung’, aber die gibt es doch wirklich ‹, sagte Mölzer, und er zog aus dem numerischen Schatzkästlein seiner Partei ein paar Ziffern hervor, mit denen er wieder einmal alles, was er sich wünscht, ­einwandfrei beweisen konnte. 

Im Beweisen war Mölzer gut drauf, als er bewies, dass erstens › die Linken ‹ selbst die schönsten Lieder aus dem Liederbuch singen, alles ein Gesangsverein, und dass diese Lieder zweitens in der Hauptsache eh nur Parodien auf und Sa­tiren gegen den Rassismus sind. Ich bin der Letzte, der leugnet, an Mölzer ein Vergnügen zu haben. Wie er auf Servus TV, dem Sender gegen den linksliberalen Einheitsbrei, süffisant den Überlegenen mimt, damit schafft er die Aufnahmeprüfung in fast jede Schauspielschule. Schlecht gespielt hat er auf Puls 4, aber da hatte er aus den eigenen Reihen einen Gegenspieler. Ewald Stadler sagte ihm ins Gesicht : › Andreas Mölzer gehört zu den Oberspesenrittern der Partei und deshalb hat er nie den Mund aufgemacht. Jetzt, wo der Strache weg ist, macht er den Mund auf. ‹

Ich bin ganz auf Mölzers Seite, denn wovon sollte ein Parteiintellektueller leben, wenn nicht von der Partei ? Selbstverständlich wird er als freier Geist, sen­sibel und zugleich analytisch, den Konjunkturen an der Parteispitze die nötige Aufmerksamkeit schenken, und das umso mehr, wenn man – wie Mölzer – von den eigenen Leuten schon einmal demontiert wurde. Mölzer hatte die EU als Diktatur bezeichnet, gegen die › das Dritte Reich wahrscheinlich formlos und liberal ‹ gewesen sei und in der eine Bande von Lobbyisten herrsche, nämlich ein von Mölzer sogenanntes  › Neger­konglomerat ‹. 

Damals war er noch › Spitzenkandidat ‹.Das gehört, siehe Norbert Steger, zu den Rätseln der Freiheitlichen, dass sie Leute, die ihrer Gesinnung freien Lauf lassen, wenn’s nicht opportun ist, rücksichtslos in die letzten Reihen verbannen. Und die halten dort die Treue, die keine Ehre mehr ist. Aber auch das liegt in der Konstellation, die der Parteiintellektuelle ausfüllt. Kreisky nannte Günther Nenning einen Wurschtl, und zwar zu einer Zeit, in der Nenning noch gar kein Wurschtl war. Das kam erst später, als der Intel­lektuelle für die Krone Kolumnen schrieb. Nenning selbst hatte die Formel gefunden, auf der die Existenz des Parteiintellektuellen gründet :  Die Partei (gemeint war noch die SPÖ) sei seine Mutter, und an den Brüsten der Mutter schlabbert (eine Flüssigkeit geräuschvoll auflecken) sich so ein Intellektueller voll. 

Was soll das also, wenn Ewald Stadler dem Kontrahenten mit Verweis auf irgendwelche Spesenabrechnungen der › Freiheitlichen Akademie ‹ (was zum ­Teufel soll eine › Freiheitliche Akademie ‹ sein ?) entgegenschleudert : › Dieses System ist ein System der Bedienung. Du lebst seit 40 Jahren von der Partei. ‹ Da nahm Mölzer im Studio seinen Hut und sagte : › Ewald, du bist ein Trottel. ‹ Das müsse er ihm, dem › Denunzianten ‹. schon ehrlich sagen.

Es ist ja nicht nur Mölzer, es ist überhaupt auffällig, dass die Freiheitlichen nicht nur den Sinn für unsere Werte haben, sondern dass ihre eigenen Sym­pathiewerte äußerst hoch sind. Von dem Casino-Glücksspielwunder Sidlo kursiert ein Porträt-Foto, das einen aus dem Ei ­gepellten jungen Herrn zeigt. Man will ihn sofort zum Freund haben, er wirkt haargenau wie die Figur des Fant aus Canettis › Komödie der Eitelkeit ‹. 

Für das Väterliche stellen die Freiheitlichen den neuen Gouverneur der Na­­tionalbank zur Verfügung. Robert Holzmann, der dort auf einem FPÖ-Ticket sitzt, strahlt so etwas von Güte und zugleich von Rechtmäßigkeit aus, dass man sich fragen muss, wie es jemals ohne all diese Herzlichkeit auf dieser Welt hatte gehen können. Dass er ein bisschen im Personal umrührt, kommt von einem tiefen Gefühl für Verantwortlichkeit, das zum Beispiel eine Beschäftigung von Su­sanna Konrad-El Ghazi ausschließt, der Leiterin der Personalabteilung und Tochter des langjährigen Raiffeisen-General­anwalts Christian Konrad. 

Ich freue mich immer, wenn ich auf den Chefetagen bekannte Persönlich­keiten oder wenigstens deren Verwandtschaft treffe. Die österreichische Gesellschaft ist ein geschlossenes Biotop ihrer Herrschaftsschicht. Aufstieg und Fall be­ginnen bei uns schon in der Schule. Da hat die Soziale Heimatpartei noch viel zu tun, um die Eliten auszuwechseln. 

Das musste ein Horror für die Führer der Heimatpartei gewesen sein, als sie im BVT die › schwarzen Netzwerke ‹ bekämpfen mussten, während sie zugleich mit den Türkisen, einer Abart der Schwarzen, koalierten. Man muss zumindest ­› ­Politikberater ‹ sein, um sich im Ernst für den Irrsinn zu interessieren, den Kickl bei der ehemaligen Staatspolizei angerichtet hat. Es ist weise Regierung, dass Kurz den Blauen hat machen lassen. In diese Absurdität einzugreifen, wäre ansteckend gewesen. › Ära Kickl : BVT wollte Abgeordnete und Journalistin bespitzeln ‹, man wollte einen Zugriff auf die Handys, aber es ist wunderbar, so etwas ist im Rechtsstaat, sagt der Staatsanwalt, verfassungswidrig. 

Die deutlich ausgesprochene Prä­ferenz der Blauen für die illiberale Demokratie eines Orbán hat in Österreich vorerst nicht die dafür nötige Resonanz. Der juristische und der intellektuelle Überbau der österreichischen Gesellschaft ist zum größten Teil auf den Modus der Ge­genwehr geschaltet. Das politische Klima vibriert von den Mahnungen : › Zum großen Bösen ‹, sagte Köhlmeier im Parlament, › kamen die Menschen nie mit einem Schritt, sondern mit vielen kleinen, von denen jeder zu klein schien für eine große Empörung. Erst wird gesagt, dann wird getan. ‹ 

In der › Welt von Gestern ‹, im Kapitel › Incipit Hitler ‹, hat Stefan Zweig diese Strategie und ihre vorhersehbaren Überraschungseffekte benannt, und man kann die historischen Umstände gar nicht mit denen von heute gleichsetzen, aber um die Analogie in der Methode zu erkennen, ist es auch nicht nötig : › Denn der Nationalsozialismus in seiner skrupellosen Täuschertechnik hütete sich, die ganze Radikalität seiner Ziele zu zeigen, ehe man die Welt abgehärtet hatte. So übten sie vorsichtig ihre Methode : immer nur eine Dosis und nach der Dosis eine kleine Pause. Immer nur eine einzelne Pille und dann einen Augenblick Abwartens, ob sie nicht zu stark gewesen, ob das Weltgewissen diese Dosis noch vertrage. Und da das europäische Gewissen – zum Schaden und zur Schmach unserer Zivilisation – eifrigst seine Unbeteiligtheit betonte … wurden die Dosen immer kräftiger, bis schließlich ganz Europa an ihnen zugrunde ging. Nichts Genialeres hat Hitler geleistet als diese Taktik des langsamen Vorfühlens und immer stärkeren Steigerns  gegen ein moralisch und bald auch militärisch immer schwächer werdendes Europa. ‹

Sich dieses damals berechtigte Pathos anzueignen, wäre heute vermessen. Zweig berichtet von dem extremen Fall der Banalisierung des Bösen. Seit Haider kennen die Österreicher eine mildere ­Variante, und seit Straches Ibiza-Video kann man nicht einmal mehr sagen, dass sich hier irgendwer hütete, › die ganze Radikalität seiner Ziele zu zeigen. ‹ Kickls Spruch, mit dem Haider in die Arena ging (› Ich verstehe überhaupt nicht, wie jemand, der so viel Dreck am Stecken hat, Ariel heißen kann ‹), gerichtet gegen den damaligen Präsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde Ariel Muzicant, war für mich der Wendepunkt, ein point of no ­return : Dass die Gesellschaft damals nicht in der Lage war, die Propagandisten solcher Verlautbarungen auf die Plätze zu verweisen, hieß für mich, ab jetzt haben sie freie Bahn. 

Die haben sie sich wiederum selbst versperrt. Jüngst hörte ich den in der Steiermark wahlwerbenden Kunasek. Im Hörfunk-Interview versuchte er immer wieder auf sein einziges Thema zurück­zukommen, auf die Einwanderung. Es war erbärmlich und primitiv, ein hilfloses Anklammern an eine Zeit, da seinesgleichen Oberwasser hatte. Für mich, einen Liebhaber der Steiermark, der grünen Wiesen und der weißen Weine, war es niederschmetternd, wie Kunasek jetzt, da seine Partei nicht mehr triumphierend an der Macht ist, immer wieder den Erfolg mit der alten › Ausländer raus ! ‹-Propa­ganda ins Spiel bringen wollte. Aber leider heißt (Medien-)Demokratie, dass alle Augenblicke ein anderer Fetisch den vorangegangenen auslöscht. Jetzt hat man halt › Klimawandel ‹ und, fürchtet euch !, bald wird wieder etwas ganz Neues die Gunst der Stunde genießen.

Natürlich hat Kickl Recht : Wer › rechts ‹ mit › rechtsextrem ‹ verwechselt, ­versteht nichts von Demokratie. Genau. Auch der Lehrstuhlinhaber bei Servus TV, der Versager bei Puls 4, Andreas Mölzer, den die Kronen-Zeitung und Die Presse satisfaktionsfähig gemacht haben, hat Recht : Diese Einzelfälle auf der rechten Seite, pfui, da ist auch Mölzer sehr da­gegen, aber dass es eine rechte Partei gibt, dafür ist er und zwar nicht zuletzt wegen der Demokratie. Genau ! Ich bin nur dagegen, dass Rechtsextremisten sich hinter dem Titel › rechts ‹ verbergen, dass sie die Diskrepanz zwischen › rechts ‹ und Rechtsextremismus für ihren Extremismus nutzen. 

Aber für die Ehrlichkeit eines rechten Politikers bin ich jederzeit  dankbar : Kickl hat in dem sich auflösenden Nationalrat eine letzte Rede gehalten. Sie war ein offenes und ehrliches Bekenntnis zur Inhumanität. Er versuchte es auch moralisierend, mit einer gutmenschlichen Überhöhung : Es sei das schlechthin Gute, die eigenen Leute gegen alle von woanders zu bevorzugen. Den Rest kann ruhig der Teufel holen. Wer anders denkt, dem fehle bloß der politische Wille zum ­wahrhaft Guten. 

Ich sage nicht, dass Kickl, einer aus der Riege der Sympathler, ein Hetzer ist. In seinen Reden ist er selbst ein Gehetzter, abgehetzt  und auftrumpfend sagt er seine Meinung. Man denkt an die Täter-­Opfer-Umkehr – vielleicht ist so mancher, der so gerne ein Täter wäre, zum Beispiel Innenminister, tatsächlich – zu einem Teil – auch ein Opfer.   

Post Scriptum  

Österreich ist eine herrliche Heimat. Es ist das Land, in dem es wirklich eine Staatsanwältin zu geben scheint, die Veronika Standfest heißt. Der Geist Raimunds und Nestroys walte über ihr ! Und die Kultur und ihre Umwegrentabilitäten – aber halt, da habe ich etwas gelesen, was zu denken gibt, obwohl es aus der  Kultur kommt : Bei dieser Malversation (öster­reichisch : Misswirtschaft) im Burgtheater, mit der sich das Gericht befasst, seien Regiehonorare in der Höhe von 185.000 Euro verschwunden. Nein, solche Honorare gönne ich keinem Regisseur, aber ich bin auch nicht dafür, dass so viel Geld verschwindet. Es gibt eine Zwei- (oder mehr) -Klassen-Medizin, eine unverschämte Zwei-Klassen-Kultur gibt es auch. Es ist gefährlich, daran zu rühren, weil man damit die Heerscharen der Banausen aufmunitioniert. Am schönsten ist der Kapitalismus dort, wo er für das Schöne Unsummen vernichtet, aber 185.000, die in den Schachzügen einer Malversation verschwinden, verhöhnen uns armselige Kulturmacher, die wir im Doppelsinn sagen müssen : Das haben wir nicht verdient !