Mörderische Katzenliebhaber
Über die beruhigende Kraft kulturalistischer Vorurteile.
Immer, wenn es kompliziert wird auf der Welt, sind Hobbyanthropologen nicht weit. Sie artikulieren all das als Expertise, von dem man hoffte, es noch nicht einmal mehr an alkoholgeschwängerten Stammtischrunden zu hören.
Da wäre einmal die renommierte Sicherheitsexpertin Florence Gaub. Vor ein paar Wochen erklärte sie im deutschen Fernsehen, warum ein hoher Blutzoll auf russischer Seite noch lange nicht ein Kriegsende in der Ukraine bedeuten würde. Der Grund dafür sei nicht vordergründig ein Präsident, der seine Landsleute ohne Rücksicht auf Verluste in Massen für seine Ziele zu opfern bereit ist, sondern eher die kulturelle Verfasstheit der Russen, wie Gaub Moderator Markus Lanz in seiner Sendung verriet: ›Wir dürfen nicht vergessen, dass auch, wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind – im kulturellen Sinne.‹ Sie hätten einen anderen Bezug zu Gewalt und zum Tod. Sie hätten nicht den postmodernen und liberalen Zugang zum Leben, als einem Projekt, das jeder für sich individuell gestaltet, sondern als etwas, das auch mit dem Tod recht früh enden kann.
Der Tod, in Russland höchstens ein Schulterzucken also – und der Russe, das suizidale Wesen in europäischer Camouflage. Das Publikum lernt: Dem Russen macht es nichts aus zu sterben. Auch nicht, wenn es andere tun. Der Russe weint nicht um seine Angehörigen, trauert nicht um seine Kinder. Denn er kennt ja nicht den wahren Wert des Lebens. Den kennen nur Europäerinnen. Und zwar nur die echten.
Nicht minder skurril ist die Wortwahl der Kollegen in der Süddeutschen Zeitung, wenn im Gespräch mit einem Neuropsychologen über die Gewaltbereitschaft der russischen Armee von Seiten der Interviewerin Sätze fallen wie: ›Wahrscheinlich konnten sich viele kaum vorstellen, dass ein Volk wie das russische, das als so kulturell hoch entwickelt gilt, mitten in Europa solche Kriegsverbrechen begeht‹ und: ›Die meisten dieser Männer, die im Krieg Menschen abschlachten, haben vor Kurzem noch ihre Kinder liebkost und ihre Katzen gestreichelt. Sie wissen, was Moral ist.‹
In der Süddeutschen sind die Russen feinsinnige Übermenschen, liebkosende Katzenliebhaber, denen die Sicherungen durchgebrannt sind, bei Markus Lanz barbarische Untermenschen mit Todessehnsucht. Zwei Seiten ein und derselben kulturalistischen Medaille, die nur eines offenbart: die Hilflosigkeit einer Gesellschaft, die mit allen Mitteln versucht, das eine Indiz zu finden, das ›sie‹ von ›uns‹ trennt. Denn nur dann bleiben wir vom Bösen, dem Monströsen und der Barbarei verschont. Wenn wir uns nur hart genug an unseren ›postmodernen und liberalen‹ Zugang klammern, werden wir nie in die Situation geraten, unser Leben leichtfertig für so etwas wie Krieg aufs Spiel zu setzen. Und wenn wir nur den Moment ausmachen können, in dem wir als hoch entwickelte Kulturnation zu kippen drohen, können wir jedem Blutrausch rechtzeitig vorbeugen, denn wir wissen ja, was Moral ist.
Es ist schon fast rührend, mit welcher Sicherheit an die eigene Überlegenheit geglaubt wird. Als hätten Demokratie, Wohlstand und Frieden etwas mit einer kollektiven Charakterstärke zu tun, die im Fall der Fälle wie eine Brandmauer vor Krieg, Chaos und Zerstörung schützt. In Wahrheit spiegelt sich in diesem Irrglauben die unausgesprochene Angst, dass die Verrohung, die aus lauter Arroganz immerzu anderswo verortet wird, nicht nur vor der eigenen Haustür nicht Halt macht, sondern längst im eigenen Haus beheimatet ist. Und unter den falschen Bedingungen auch hier jederzeit losbrechen könnte, und zwar auf monströseste Art. Trotz aller Katzenliebe. •
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