Ungekühlt
Obdachlose und wohnungslose Menschen leiden besonders stark unter urbaner Hitze. Das Sozialprojekt VinziRast bietet deshalb Rückzugsorte im Grünen an.
Die Hitze brennt auf den Asphalt, sie kommt von oben, aber auch von unten zurück vom Beton. Als Stadt ist Wien ein Hitzezentrum, es ist Juli 2022 und seit ein paar Tagen messen die Wetterstationen über 30 Grad in Österreichs Hauptstadt. Julian ist wohnungslos seit gut einem halben Jahr. Die Stadt stresst ihn, gehetzte Gesichtsausdrücke fallen ihm besonders auf, Menschenmengen engen ihn ein. In der Sommerhitze der Stadt wird es schlimmer für ihn. Es fehlt ihm an ruhigen Rückzugsorten. ›Es fühlt sich an, als würden die Menschen mich wie Wellen überrollen‹, erzählt er.
Von einer Hitzewelle spricht man in Österreich, wenn es mehr als drei Tage in Folge über 30 Grad hat. 2019 war gemeinsam mit 2003 das wärmste Jahr in Österreich seit Beginn der Aufzeichnungen, in den Bergen war es 2022 so warm wie noch nie. Während die Stadt sich im Sommer phasenweise immer stärker erhitzt, flüchten die Menschen gern aufs Land oder zum Wasser. Doch nicht alle haben den gleichen Zugang zu kühlen Orten in der Natur, nicht alle können sich gleich gut vor den Folgen der Klimakrise schützen. Wer hat die Klimaanlagen im Wohnzimmer und Büro? Wer kann sich jederzeit zu Hause unter die kalte Dusche stellen?
Weltweit gesehen treffen die Folgen der Klimakrise Länder des Globalen Südens, wie Pakistan, Afghanistan, Honduras oder Somalia, am stärksten, und sie haben auch weniger Ressourcen, sich davor zu schützen. Was sie mit Ländern im Globalen Norden gemeinsam haben: Innerhalb ihrer Gesellschaft sind manche Gruppen stärker betroffen als andere. Die Stadt Wien führt in einem Bericht über die sozialen Folgen der Klimakrise 2021 zentrale Vulnerabilitätsmerkmale an: geringes Einkommen, ältere Menschen über 65 Jahre, Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, Migrationshintergrund oder niedriger Bildungsstand. Rund 56 Prozent der über 15-Jährigen in Österreich weisen zumindest eines der Merkmale auf, was häufig dazu führt, dass sie sozio-ökonomisch benachteiligt sind. Zum Beispiel leben Menschen mit Migrationsgeschichte oft in günstigeren Wohnungen, die schlechter gegen Hitze gedämmt sind, können sich schwer Klimaanlagen leisten und leben in jenen Teilen der Stadt, die weniger begrünt sind und sich damit stärker erhitzen.
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