Vermessung einer Achillesferse

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Oktober 2023

Das wichtigste außenpolitische Vorhaben dieser Legislatur‹ – so nannte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebenstreit das 64 Seiten lange Strategie-Papier, das Annalena Baerbock Mitte Juli vorstellte. China werde ›repressiver nach innen und offensiver nach außen‹, sagte die grüne Außenministerin bei der Vorstellung im Berliner MERICS-Institut, über dessen Forscher Peking 2021 ein Einreiseverbot verhängt hat. ›Deshalb muss sich auch unsere China-Politik verändern.‹ 

Dazu gehört nach Einschätzung der Ampelregierung auch die Forschungspolitik. Nach einem Bekenntnis zum Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit verweist deren neue China-Strategie explizit auf die ›Grenzen‹, die Pekings ›Politik der zivil-militärischen Fusion‹ der Zusammenarbeit setze. Und weiter: ›Wir berücksichtigen, dass auch zivile Forschungsprojekte, inkl. Grundlagenforschung, von China strategisch auf ihre militärische Verwendbarkeit hin betrachtet werden.‹  

Baerbocks Kabinettskollegin, Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger von der FDP, offenbarte knapp einen Monat später in der FAZ einen konkreten Grund für die Vorsicht: ›Berichte über chinesische Quantenphysiker, die über Jahre hinweg die exzellenten Bedingungen und den Zugang zu Wissen an einer deutschen Universität nutzen, um später nach China zurückzukehren und dort dem Militär zuzuarbeiten, offenbaren jedoch unsere Achillesferse: Ausländische Akteure nutzen bestehende Spielräume zum Nachteil unserer nationalen Sicherheit.‹ 

Stark-Watzinger dürfte sich dabei auf die ›China Science Investigation‹  bezogen haben, für die ein internationales Journalisten-Team unter der Leitung der Investigativ-Plattform Follow the Money mehr als 350.000 wissenschaftliche Studien ausgewertet hat, die in Zusammenarbeit von europäischen Forschern mit chinesischen Kollegen entstanden sind. Im Rahmen des Projekts untersuchten Kollegen von Correctiv und der Deutschen Welle anhand von Forschungskooperationen der Universität Heidelberg, ›wie Deutschland China hilft, zur Militär-Supermacht aufzusteigen‹. Dabei spielt die Quantenphysik, wie die Ministerin richtig erkannt hat, eine entscheidende Rolle.

Ein in diesem Bereich international herausragender Akteur kommt in den bisher veröffentlichten Berichten von Correctiv und Co. jedoch nur am Rande vor: Es ist Anton Zeilinger, von 2013 bis 2022 Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, seit vergangenem Jahr ­Träger des Nobel­preises für Physik und damit einer der ganz großen Helden unserer kleinen Republik. Ein Vordenker, dem das Land ­zuhört, egal, ob er über Atome spricht, über Opern oder
Gott und die Welt. 

Wir wollten wissen, welche Rolle Zeilinger für den Quantensprung Chinas gespielt hat. Mit wem er da genau zusammenarbeitet. Und wie er versucht, die Wissenschaftsfreiheit zu wahren, ohne die europäische Sicherheit zu gefährden. Emilia Garbsch und Thomas Winkelmüller hätten ihn das für diese Ausgabe von DATUM gerne selbst gefragt, aber weder der Professor noch die ÖAW waren bereit, mit ihnen zu sprechen. Dafür haben Correctiv und die Deutsche Welle ihnen Einsicht in ­ihr Recherchematerial gewährt, vor allem aber haben Garbsch und Winkelmüller in unzähligen ­Gesprächen mit Quantenphysikern, China-Kennern und Geheimdienstmitarbeitern die Geschichte von Zeilingers Kooperation mit China rekonstruiert. 

Es ist eine Geschichte, die nicht nur erzählt, wie viel Zeilinger im Namen des Fortschritts zu riskieren bereit ist, sondern auch mit welchen Hürden Forscher in diesem Land zu kämpfen haben. Eine Geschichte, die zeigt, wie geschickt das zu­nehmend autoritäre China die Schwächen einer offenen Gesellschaft zu nutzen weiß und wie notwendig eine vorausschauende und öffentlich einsehbare Strategie im Umgang mit Peking deshalb auch für Österreich wäre. Am Ende wirft die Geschichte aber vor allem eine Frage auf, über die wir uns hierzulande viel öfter Gedanken machen sollten: Ist das noch Neutralität oder schon Kopf in den Sand? •

Urteilen Sie selbst – am besten nachdem Sie unseren Schwerpunkt über Österreichs Umgang mit China gelesen haben!

Ihre Elisalex Henckel

elisalex.henckel@datum.at

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