Wie es ist … obdachlos zu sein
Das Leben auf der Straße ist ein Kampf. Und mit jedem Morgen beginnt er von vorne. Für mich geht das seit etwa acht Jahren so. Zuerst in Deutschland, seit ein paar Jahren in Wien.
Als meine Beziehung endete, rutschte ich ab. Alkohol spielt bei vielen eine Rolle, auch bei mir. Ich wurde bequem, kümmerte mich um nichts mehr. Dann kamen die Rechnungen, und schon war ich auf der Straße.
Seitdem ist mein Leben ein anderes.
Ich arbeite für die Caritas in der Waschküche der Gruft. Dort bekomme ich ein bisschen Taschengeld, die Möglichkeit, meinen Körper zu waschen und drei Mahlzeiten am Tag. Mein Lieblingsessen, Königsberger Klopse, gibt es dort nie, dafür Chili oder Suppen. Außerdem habe ich einen Schrank für mein Zeug: Hosen, Jacken, ein Ladegerät. Mein Handy trage ich immer bei mir. Darauf sind meine privaten Sachen gespeichert. Fotos von früher. Sonst besitze ich nichts mehr.
Wenn ich nicht in der Gruft arbeite, habe ich Termine beim AMS. Betteln muss ich nicht mehr. In der Zeit, die mir bleibt, gehe ich spazieren. Die Mariahilfer Straße kenne ich mittlerweile auswendig. Vor ein paar Wochen war ich am Haus des Meeres und habe die Aussicht genossen. Freunde habe ich keine, aber es gibt Leute, die mag man lieber.
Nachts gehe ich entweder in eine Notschlafstelle oder suche mir beleuchtete Plätze zum Schlafen. Wo Licht ist, fühle ich mich sicherer, bin aber trotzdem hellhörig. So zu schlafen ist nicht erholsam.
Manche wiederum liegen ganz bewusst in dunklen Ecken. Die wollen nicht gesehen werden und haben mit ihrem Schicksal abgeschlossen. Ich versuche, nach denen zu schauen. Sonst tut es ja kaum jemand. Man kann nie wissen, ob die am nächsten Tag wieder aufstehen.
Seitdem drei von uns attackiert wurden, ist diese Befürchtung noch realer geworden. Wir alle haben Angst. Wer auch immer da versucht, uns zu ermorden, sieht uns als leichte Opfer. Gegen diese Mordserie können wir uns kaum schützen. Wer schläft, kann sich nicht wehren. Da helfen auch nicht die Trillerpfeifen, die sie an uns verteilt haben, damit wir im Ernstfall Hilfe rufen können. Zumindest ist jetzt mehr Polizei unterwegs.
Warum diese Person uns töten will, kann ich nur erahnen. Uns hassen viele Menschen. Es gibt Leute, die fotografieren Obdachlose und posten die Bilder auf Facebook. Sie sagen: ›Wir müssen jetzt mit den Pennern aufräumen.‹ Solche Aktionen schüren den Hass weiter. Und sie treffen die Ärmsten, die eh schon wortwörtlich am Boden liegen.
Kaum jemand sieht, dass wir alle eine Geschichte haben. Gleichzeitig gibt es Charaktere, um die viele verständlicherweise einen Bogen machen. Aber wir sind nicht alle gleich. Mich würde es freuen, wenn Leute auf mich zugehen würden, um zu fragen, wie es mir geht.
Irgendwann will ich eine eigene kleine Wohnung haben und glücklich sein. Und auch nach meiner Pension weiter für die Caritas arbeiten. Viele andere haben sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Wodka ist für sie der Sinn des Lebens. Nicht für mich. Ich möchte wieder weg von der Straße. •
Wolfgang Mäuer (63) stammt ursprünglich aus Deutschland und kam vor gut zehn Jahren nach Wien. Der ausgebildete Metzger arbeitet in der Waschküche der Gruft und ist gerade auf Jobsuche, um so von der Straße wegzukommen.
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