Darf er sterben?
Peter Vogt hat Mädchen misshandelt und Frauen vergewaltigt. Seine Strafe hat er vor 18 Jahren abgesessen, seither wird er verwahrt. Nun fordert der Schweizer Hilfe beim Suizid. Die Behörden wollen sie nicht zulassen. Zu Recht?
Eigentlich wollte er längst tot sein, seit einem halben Jahr schon. Ein bisschen Apfelsaft zwischendurch für den Geschmack, und er hätte das halbe Glas Wasser mit den 15 Gramm Natrium-Pentobarbital heruntergekriegt. Nach 72 Jahren hätte sein Leben geendet, wie es angefangen hat. Scheußlich bitter.
Der Tod zum Geburtstag, am 13. August 2022, das sei sein Plan gewesen, sagt Peter Vogt. Doch noch lebt er. Und es ist nicht leicht zu sagen, ob man ihn nicht sterben ließ. Oder ob er doch noch leben will. Ob er die Hoffnung hat, sein Dasein könnte besser werden. So gut jedenfalls, dass es dem Totsein vorzuziehen wäre.
Vogt ist keiner, mit dem man schnell Mitleid hat. Der Schweizer hat Mädchen misshandelt und Frauen vergewaltigt, zwei beinahe erwürgt. Er ist mehr als die Hälfte seines Lebens im Gefängnis gesessen, seit 18 Jahren hat er seine letzte Strafe abgesessen. Er wird verwahrt und kommt wohl nie wieder frei. Der Tod wäre sein einziges Entkommen.
Schon vor mehr als vier Jahren schrieb er den Sterbehelfern von ›Exit‹ einen Brief. Er wäre wohl der erste Insasse in der Schweiz, dem Sterbehelfer das tödliche Gemisch anrühren.
Seit dem Jahr 1918 hat dort grundsätzlich jeder das Recht, sein Leben selbstbestimmt zu beenden und sich dabei helfen zu lassen. Doch ob das auch für einen Häftling oder einen Verwahrten gilt, fragt sich das Land erst seit Vogts Brief. ›Das Recht gilt für jeden Menschen‹, sagt er, ›also auch für mich!‹
Es gibt aber auch Menschen, die an seiner Entschlossenheit zweifeln. Die glauben, dass es ihm nur darum gehe, Druck zu machen, die Verlegung in eine offenere Anstalt zu erzwingen. Was also will er wirklich? Wünscht er sich den Tod? Oder spielt er mit ihm?
Ein Dienstagmittag Mitte März 2022 in Solothurn, Kuppeln und Türme vor den Gipfeln der Westschweiz. Weit hinter dem Ortsschild, inmitten von Wiesen und Feldern, steht ein Betonklotz, umzäunt von vier Meter hohem Stahl, über den sich Stacheldraht windet.
Vogts Zuhause.
Der fensterlose Besuchsraum ist geteilt von einer Plexiglasscheibe, auf beiden Seiten zwei Stühle und ein Tisch, darauf ein Sprechgerät, an den Wänden Bilder von einer Kaffeetasse und einer Marienfigur, der rote Knopf für den Notruf. Hinter dem Plexiglas sitzt Vogt wie ein alter Rocker, breitbeinig, die 170 Kilo in die Lehne gedrückt, die Hände auf dem Bauch verschränkt, sein Blick zwischen mürrisch und misstrauisch. Graue Stoppelhaare, fahle Haut, Schnauzer im Gesicht. Er trägt Socken und Hausschuhe, neben ihm ein glänzender Rollator.
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