Das Prinzip Humbug
Noch nie konnte die Wirkung von Homöopathika wissenschaftlich belegt werden. Trotzdem erfreuen sich Globuli & Co. in Österreich auch bei Ärzten und Apothekern großer Beliebtheit. Warum ist der medizinische Aberglaube so erfolgreich ?
Reinste quantenphysikalische Frequenzen in Form von Salzlösungen und Sprays. Die Lösung für bessere Sehkraft, den Knorpelaufbau bei Bandscheibenproblemen oder eine entzündete Prostata. Und das für wenige Euro. Nicht weniger als das verspricht das österreichische Unternehmen ›Top Drop‹ auf seiner Homepage und setzt dabei auf Energiemedizin. Auch im Repertoire : eine Salzlösung zur Impfbegleitung, sogar mit den Optionen ›Vektor‹ oder ›RNA‹. Diese soll Impfbegleitstoffe ausleiten und allergische Folgereaktionen mildern. Wissenschaftliche Evidenzbasierung ? Fehlanzeige.
Homöopathika und andere komplementärmedizinische Angebote sind nicht nur beliebte Alternativen und Ergänzungen zu schulmedizinischer Praxis, sondern auch ein großer Markt : In Österreich wurden zuletzt 49 Millionen Euro jährlich mit dem Verkauf von Globuli und Co. umgesetzt. Knapp drei Millionen homöopathische Produkte gingen 2018 laut Marktforschungsinstitut IQVIA über den Apothekertresen. Anders als gerne behauptet, übernimmt auch der Staat in Gestalt der Krankenkassen homöopathische Behandlungskosten, wie aus der Beantwortung einer Anfrage von Gerald Loacker, Nationalratsabgeordneter der Neos, hervorgeht. Er will dieser Dimension auf den Grund gehen. Mitte Oktober erwartet Loacker eine Antwort auf seine aktuelle parlamentarische Anfrage an Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein : In welchem finanziellen Ausmaß wurden Homöopathika von der ÖGK beziehungsweise den einzelnen Gebietskrankenkassen erstattet ? Und auf welcher Basis geschieht dies, wenn ihre Wirkungslosigkeit wissenschaftlich außer Streit zu stehen scheint ?
Schon 2018, noch vor der Zusammenlegung der Gesundheitskassen, hatte Loacker herausgefunden : Bis zu einem Netto-Verkaufspreis von 9,95 Euro kann man von den einzelnen Krankenkassen Geld bewilligungsfrei zurückbekommen. Laut Gesetz dürfen alternativmedizinische Leistungen dann übernommen werden, wenn zuvor eine konventionelle medizinische Behandlung nicht erfolgreich war. Die Anfrage zeigte, dass 2016 insgesamt mehr als 183.000 Euro rückerstattet wurden. ›Meiner Meinung nach sollten und können die Kassen das nicht zahlen‹, so Loacker.
Dass Apotheken Homöopathika und andere komplementärmedizinische Produkte anbieten, ist nichts neues. Doch der Stellenwert, den diese Praktiken unter Apothekern sowie unter Ärzten und Ärztinnen haben, überrascht. 743 Ärzte in Österreich hielten mit Stand 2019 zusätzlich zu ihrer Ausbildung ein Diplom für Homöopathie, ein Angebot der österreichischen Ärztekammer, das Kritiker wie Loacker nicht vertretbar finden. Hat Österreichs Medizin ein Humbug-Problem ?
Homöopathie basiert auf den Ideen von Samuel Hahnemann, einem deutschen Arzt, der im 18. Jahrhundert das sogenannte Ähnlichkeitsprinzip formulierte. Es besagt, dass Krankheiten durch Arzneistoffe geheilt werden können, welche Symptome hervorrufen, die dem Erkrankungsbild selbst ähnlich sind. 250 Jahre später ist die Beliebtheit dieses Prinzips ungebrochen : 71 Prozent der Österreicher vertrauen laut einer Studie des größten deutschen Marktforschungsinstituts GfK auf die Wirkung von Homöopathie. Doch diese ist keine Behandlungsmethode wie jede andere. Die medizinische Fachliteratur zählt sie zu den Pseudowissenschaften.
Und aus wissenschaftlicher Sicht ist die Sachlage klar : Homöopathika wie die impfbegleitende Salzlösung enthalten im Grunde genommen keinen Wirkstoff. Denn um ein homöopathisches Arzneimittel herzustellen, werden Grundsubstanzen einer sogenannten › Potenzierung ‹ unterzogen und mit Wasser, Alkohol oder Lactose vermischt. Das kann so weit gehen, dass ein Mittel so stark verdünnt wird wie eine Aspirintablette im gesamten atlantischen Ozean. Eine sogenannte C13-Potenz entspricht der Verdünnung eines Tropfens im dreifachen Volumen des gesamten Wassers auf der Erde. Und würde man das stärkste Gift der Welt mit C6-Verdünnung mischen, könnte man es bedenkenlos trinken.
Seit es Homöopathie gibt, werden Studien veröffentlicht, um ihre Wirkung zu demonstrieren oder aber zu widerlegen. Das wiederholte Ergebnis : Die Methode wirkt nicht besser als die Verabreichung eines Placebos – also eines bewusst wirkungslosen, weil wirkstofffreien Mittels, das bei Patienten durch Aktivierung körpereigener Prozesse trotzdem eine therapeutische Wirkung auslösen kann. 2014 zeigte etwa eine Metastudie der größten australischen Gesundheitsbehörde, die mehr als 1.800 Paper zusammenfasste, dass homöopathische Mittel bei Krankheiten wie Asthma, Angststörungen und verschiedenen Schmerzursachen nicht besser als Placebos helfen; dass all jene Studien, die Homöopathika eine gewisse Wirksamkeit bescheinigen, nicht solide sind; und dass die Evidenz bei all jenen Krankheiten, bei denen noch Studien zur Wirksamkeit von Homöopathika ausstehen, bisher fehlt.
Warum dann aber viele, die sich eigentlich der Naturwissenschaft verschrieben haben, trotzdem für ein unwissenschaftliches Prinzip plädieren, erscheint unerklärlich. Natalie Grams-Nobmann gehört zu jenen, die die Seite gewechselt haben. Während ihres Medizinstudiums hatte sie aufgrund anhaltender Beschwerden nach einem Autounfall eine Heilpraktikerin aufgesucht. Als es ihr daraufhin besser ging, war der Weg zum Studentenkurs › Komplementärmedizin ‹ nicht weit. Heute arbeitet Grams-Nobmann im Public-Health-Bereich, hat das kritische Informationsnetzwerk Homöopathie mitgegründet und schreibt Bücher über ihre › Offenbarung ‹ – und die viel größere, die später in Form von Kritik kam. Für sie beginnt das Problem in der medizinischen Ausbildung und dem darin vermittelten beziehungsweise fehlenden Selbstbild : › Innerhalb der Medizin haben wir noch immer nicht ganz geklärt, was eigentlich unsere wissenschaftlichen Grundsätze sind. Basieren diese auf Erfahrung, klinischer Evidenz oder auch auf Sozialwissenschaft oder Psychologie ? ‹ Die meisten würden dabei eigentlich nur das Beste für ihre Patienten und Patientinnen wollen, so Grams-Nobmann.
Und viele von diesen seien auf der Suche nach einer sanfteren, humaneren Medizin. Das führe zu einem klassischen Argument, das auch viele konventionelle Mediziner anwenden : Es schade nicht, (zusätzlich) ein paar Globuli zu verschreiben. Die Ärztin ist anderer Meinung : › Wenn man einmal den rationalen, wissenschaftlichen Weg verlassen hat, gibt es oft kein Halten mehr. ‹ Gerade während der Pandemie habe man gesehen, dass der Weg von der Sorge zur Verschwörungstheorie rund um Big Pharma oder zur Impfskepsis nicht weit ist. › Ich glaube, es ist ein Problem, dass wir von Medizin und Alternativmedizin sprechen. Würde man sagen, dass nur das, was evidenzbasiert wirkt – egal woher es kommt – Medizin ist, hätten wir es leichter. ‹
Es sei wie eine Tankstelle, die Frucade statt Diesel verkauft, oder eine Kfz-Mechanikerin, die heiße Luft in die Bremsleitung pumpt, sagt Christian Kreil. Der streitbare Ethnologe entlarvt schon länger nicht-wissenschaftliche Praktiken in seinen Büchern und auf seinem Blog › Stiftung Gurutest ‹, der regelmäßig auf derstandard.at erscheint. ›All diese Berufe würden bei so einer Praxis Probleme mit ihrer Innung und dem Gesetz bekommen. Aber überall sonst gelten strengere Regeln als in der Medizin und Pharmazie.‹ Anfang Juli erreicht Kreil eine Antwort auf ein von ihm versendetes E-Mail : Ja, er könne die Top-Drop-Salztropfen zur Impfausleitung auch im Online-Shop der oberösterreichischen Steyrtalapotheke bekommen. Gezeichnet : Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer. Auf das Angebot der Steyrtalapotheke, nur wenige Kilometer von Kreils Heimatstadt entfernt, war er durch Zufall gestoßen. ›Es gibt nichts, was es nicht gibt an Blödsinn, den Apotheken verkaufen‹, sagt er. Die Pandemie habe diesen Trend noch verstärkt. Schon im März 2020 schrieb Kreil Anfragen an 30 Apotheken. Die Steyrtalapotheke war nicht die einzige, die homöopathische Mittel gegen Covid-19 im Angebot hatte.
Die Apothekerkammer-Präsidentin Mursch-Edlmayr will zu dem ›Vorfall Salzlösung‹ nicht Stellung nehmen. Mittlerweile wurde dort eine Task Force Komplementärmedizin bestehend aus Ärzten, Apothekern und Juristen ins Leben gerufen, die in Kürze ihre Arbeit aufnehmen wird, heißt es aus der Pressestelle. Diese soll die Grenze beim Verkauf komplementärmedizinischer Produkte gegebenenfalls enger ziehen. Mursch-Edlmayr hat die Angelegenheit von sich aus dem Disziplinarrat vorgelegt. Eine mögliche Strafe bewegt sich zwischen einem schriftlichen Verweis, Geldstrafen und im schlimmsten Fall einem dreijährigen Berufsverbot. Es erkläre sich aber von selbst, dass komplementärmedizinische Produkte unter keinen Umständen als Ersatz oder Alternative zu Arzneimitteln mit wissenschaftlich belegter Wirksamkeit empfohlen werden können, sondern jegliche Therapie nur ergänzen, so die Pressestelle.
Dass die Präsidentin der Apothekerkammer homöopathische Mittel gegen die Impfung anbietet, ist auch der Österreichischen Ärztekammer ein Dorn im Auge. Anfang September 2021 sagt Vizepräsident Johannes Steinhart im Ö1-Interview deshalb, dass Apotheker nicht impfen sollten. Schließlich sei es ein Widerspruch, wenn eine Apotheke auf einer Seite eine evidenzbasierte Impfung anbiete und andererseits Produkte, die genau diese Impfung konterkarieren. Auch wenn es rechtlich erlaubt ist, komplementärmedizinische Produkte anzubieten : Impfen müsse in ärztlicher Hand bleiben, denn es könne zu Impfreaktionen kommen, und nur Ärztinnen und Ärzte hätten die nötige Ausbildung, um entsprechend reagieren zu können, so die Stellungnahme der Kammer.
Dass innerhalb der Ärztekammer ein Diplom zur Ausbildung für Homöopathie angeboten wird, steht für diese in keinem Widerspruch dazu : ›Ärzte müssen für alle medizinischen Empfehlungen (…), auch im komplementärmedizinischen Bereich, am Ende des Tages geradestehen – die Apothekerschaft aber nicht‹, heißt es aus der Pressestelle. Vizepräsident Steinhart will seine Aussagen diesbezüglich nicht weiter kommentieren. Man wolle keinen Keil zwischen die Homöopathie-Praktizierenden und Homöopathie-Gegner in der Ärzteschaft treiben, so ein Pressesprecher. Die Nachfrage auf Seite der Patienten sei stark. Bevor diese etwa zu Heilpraktikern gehen, sollte besser die Ärzteschaft als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, heißt es aus der Ärztekammer.
Das ist auch die Argumentation von Bernhard Zauner. Er leitet eine Praxis mit Schwerpunkt Homöopathie und ist Referent für Komplementärmedizin der Ärztekammer für Oberösterreich. Schon oft habe er erlebt, dass Patienten mit unauffälligem Befund, aber mit großen Beschwerden zu ihm kommen. Die konventionelle Medizin könne für diese Gruppe oft nichts tun. › Da sind die Ansätze der Homöopathie oft durchaus erfolgreicher ‹, sagt der Allgemeinmediziner. Die zweite Gruppe an Patienten seien jene, die prinzipiell schon mit einer kritischen Haltung gegenüber konventioneller Medizin kämen. ›Da ist es besser und notwendig, dass Komplementärmedizin in den Händen von Ärzten und nicht von Energetikern oder Heilpraktikern ist‹, so Zauner. Für Christian Kreil ist diese Argumentation scheinheilig : ›Es heißt : Besser ein Arzt verschreibt für ein Wehwehchen Globuli, als dass jemand mit Krebs zum Heilpraktiker geht. Aber das baut ja alles auf einer Sandburg auf‹, so der Ethnologe.
Ein Glaubenssystem ist immer nur so erfolgreich wie die Überzeugung seiner Gläubigen. Und die Homöopathie scheint auch aufgrund einer langen Tradition der Skepsis so erfolgreich zu sein. Das verbindet die Gruppe ihrer Anhänger auch mit jener der Impfkritiker : Beide Gruppen seien oft unzufrieden mit den Erkenntnissen der konventionellen Medizin, schreibt der Soziologe Keith Kahn-Harris im britischen Guardian. › Sogar jene, die Alternativen zur westlichen Rationalität und Wissenschaftlichkeit suchen, nehmen oft eine Rhetorik an, die die Wissenschaftsgläubigkeit, welche sie hassen, nachäfft. ‹ So suchen etwa auch Homöopathie-Anhänger nach Studien, die ihre gelebte Kritik an ebendieser Wissenschaft belegen sollen. Der Ethnologe Kreil teilt die Homöopathie-Anhänger in zwei Gruppen auf : Jene, die gar nicht wirklich wissen, was Homöopathie ist und sie etwa für Naturheilkunde halten – gespeist von subtilen Lügen, etwa in Form von Globuli, die in der Werbung auf grünen Blättern gezeigt werden. Und eine andere Gruppe, die belogen werden will : Sie lehnen rationale Erklärungen ab und glauben stattdessen, dass etwas existiert, das die Wissenschaft nicht erklären kann.
Aus Sicht von Natalie Grams-Nobmann sind deshalb nicht die Globuli an sich das Problem, sondern die fehlende Differenzierung zwischen Glauben und Wissen. Die Lösung ? › Es geht nicht um Verbote, sondern um Aufklärung ‹, sagt die Homöopathie-Kritikerin. › Ich plädiere für Ehrlichkeit. Anstatt jemanden mit Globuli ruhigzustellen, könnte der Arzt sagen : »Das ist ein viraler Infekt. Den besiegt ihr Körper mit seinen Selbstheilungsfähigkeiten allein. Und wenn nicht, bin ich für Sie da.« ‹ •
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