›Die Nackten werden gleich gschamig‹
Anita Zinkl, 35, ist Briefträgerin in Wien.
Wie lange sind Sie schon bei der Post?
Seit 15 Jahren.
Und wie sind Sie dazu gekommen?
Mein Vater arbeitet hier, und auch mein Ex-Freund hat bei der Post gearbeitet. Ich bin einmal mitgegangen, um mir das anzuschauen. Und es hat mir einfach von Anfang an gefallen.
Was genau?
Eigentlich alles. Am meisten der Kontakt mit den Menschen. Über die Jahre baut man eine Beziehung auf. Man erkennt dann die Person schon draußen und sagt: ›Entschuldigung, darf ich das gleich mitgeben?‹ Ich kenne meine ganzen Parteien. Wenn jemand Neuer dabei ist, bin ich ja auch neugierig, wer da dahintersteckt. Und wenn jemand verstirbt, dann macht einen das schon traurig.
Das bekommen Sie mit?
Man kennt viele eben schon lange. Ich hatte einen Fotografen, der war wirklich sehr nett, jedes Mal, wenn wir uns gesehen haben, haben wir geplaudert, und dann auf einmal nicht mehr. Das war schon heftig.
Gibt es auch Häuser, die Sie nicht gerne betreten?
Ich habe eines, da wohnen auch Drogensüchtige. Sie sind eh sehr nett und grüßen alle, aber manchmal fühle ich mich ein bisschen unwohl.
Wie viel verdienen Sie?
1.450 bekomme ich für vierzig Stunden.
Kommen Sie damit aus?
Es könnte immer mehr sein, aber ich bin zufrieden. Ich hab eigentlich Friseurin gelernt und im Einzelhandel gearbeitet, da schätze ich den Unterschied schon sehr.
Wann stehen Sie auf?
Um 4.30 Uhr. Um sechs komme ich her, da wird erst einmal sortiert. Ich hab viele Firmen und Ministerien dabei, für die nach der Sortierung ein eigener Fahrer kommt und die Sendungen mit dem Auto zustellt. Dann wird die Post, die ich austrage, zusammengebunden und ins Wagerl gegeben. Und dann gehts schon raus.
Wann ist Dienstschluss?
Um 14.30 Uhr, das geht sich auch aus.
Hat Onlinehandel Ihre Arbeit verändert?
Die Pakete sind mehr geworden. Aber wir sind nur für Kleinpakete oder große Briefsendungen zuständig.
Sind die Briefe dafür weniger geworden?
Ja. Wir haben jetzt sehr viel Werbung. Und dieses Jahr wahnsinnig viele Postkarten, so viele hatte ich schon lange nicht mehr. Das sagen auch meine Kollegen. Aber wir wissen nicht, warum.
Sind Sie schon einmal von einem Hund gebissen worden?
Nein. Ich habe auch selbst einen. Aber die Leute passen schon auch auf, wahrscheinlich weil sie das Klischee vom Briefträger und dem Hund kennen.
Wie sieht es mit dem Schnapsklischee aus? Werden Sie oft eingeladen?
Ach, das ist alles zurückgegangen. Ich kenne solche Geschichten selbst nur von Erzählungen. Man hört noch heute oft von den Postklischees, aber die stimmen eigentlich nicht mehr.
Das heißt, es macht auch niemand nackt die Tür auf?
Doch, das passiert schon.
Und was machen Sie dann?
Wenn die sehen, dass es eine Frau ist, werden sie eh gleich gschamig.
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