›Unser Wachstumsnarrativ ist eine Fehldeutung‹
Was ich von Daniel Dahm über Kostenwahrheit und Marktwirtschaft gelernt habe.
Daniel Dahm und ich treffen einander in der Bar des Hotels Aiola in der Grazer Altstadt. Es ist der Vorabend der ZEIT-Konferenz, mit der die Stadt Graz den Auftakt ihres Kulturjahres begehen wird (www.kulturjahr2020.at). Dahm wird bei dieser Konferenz sprechen – und er wird für Furore sorgen. Er ist ein transdisziplinärer Denker und Tuer, sein Wikipedia-Eintrag führt ihn als Aktivist, Unternehmer, Wissenschaftler und Performer. Seit den 1990ern – also lange bevor es cool war – befasst er sich mit Nachhaltigkeit in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in dutzenden Initiativen, Verbänden und Organisationen – von der deutschen Zweigstelle des Club of Rome bis zum World Future Council.
Wir sprechen über die Selbstüberhöhung des Menschen, über seinen Raubbau an der Natur und seine offenkundige Unfähigkeit, seine Lebensgrundlagen zu erhalten. Wie konnte es so weit kommen, dass wir heute angesichts der Klimakrise mit dem Rücken zur Wand stehen und nur noch wenige Jahrzehnte Zeit haben, um unser Wirtschaftssystem zu transformieren? Dahm hat eine einfache Antwort: Wir leben seit rund hundert Jahren ein fehlgedeutetes Narrativ von Wachstum. Wir sehen nur den Nutzen unseres Wirtschaftens, nicht aber die tatsächlichen Kosten. Er bringt die Thematik also auf eine scheinbar simple betriebswirtschaftliche Ebene: Externalitäten, also jene Kosten und Nutzen, die nicht beim Verursacher, sondern bei Außenstehenden anfallen würden, seien in keiner Gewinn- und Verlustrechnung, keiner Bilanz, keiner Unternehmensbewertung berücksichtigt. Die Auslagerung von Schäden wird belohnt, weil sie sich in der Rechnung des Unternehmens als Einsparungen wiederfinden.
Gleichzeitig würden Unternehmen, die in ihre eigenen Produktionsgrundlagen reinvestieren, bestraft, weil sich diese mittel- bis langfristigen Investitionen nicht auf die Bewertung des Unternehmens auswirkten. Das führe zu der paradoxen Situation, dass ein Unternehmen, das danach trachtet, die Externalitäten seiner Produkte, seien sie ökologischer oder gesellschaftlicher Natur, möglichst gering zu halten, mit höherem Risiko und höheren Preisen in den Markt gehen müsse. Dabei muss es doch umgekehrt sein! Ein ökologisch nachhaltig hergestelltes Frühstücksmüsli eines Demeter-Landwirten, der in seine Produktionsgrundlagen reinvestiert, muss viel günstiger sein als ein Nestlé-Müsli, weil seine Kosten für Umwelt und Gesellschaft viel geringer sind. Die Bepreisung von Externalitäten hätte laut Dahm eine massive Veränderung der Bewertung von Wirtschaftsaktivitäten zur Folge, bis hin zur Allokation von Kapital. Dazu gehört auch die anständige Entlohnung von Mitarbeitern. Ein Unternehmen, das immer nur Mindestlöhne zahlt, was dazu führt, dass immer weniger Menschen an der Bürgergesellschaft teilnehmen können, verursacht systemisch sehr hohe Kosten, für die es auch aufkommen sollte. Stattdessen wird es vom Kapitalmarkt dafür auch noch belohnt.
Ein wenig klingt das alles nach sozialromantischer Utopie, oder? Da wird Dahm energisch. Eine ganze Generation von Ökonomen setzt Kapitalismus mit Marktwirtschaft gleich, dabei war die Idee der Marktwirtschaft die Antwort auf das Versagen des Kapitalismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Marktwirtschaft ist also das Gegenteil von Kapitalismus. Noch so eine Fehldeu-
tung also. •