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Ausgebadet

Das Floridsdorfer Hallenbad galt einst als modernstes Bad Europas. Mit dem Beginn der Freiluftsaison beginnt dort ein monatelanger Umbau. Die Fans des Bades bangen um ihr zweites Wohnzimmer.

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Fotografie:
Stefan Fürtbauer
DATUM Ausgabe Mai 2024

Ein dreistufiger Bimmelton erklingt. Alle, die ein infernales Spektakel erleben wollen, hasten in die große Saunakabine. Eine Minute noch bis zum Aufguss. Dicht gedrängt, wie Sardinen, sitzen nackte Körper in den Reihen der Saunatribüne, die steil nach oben reicht. Hundertfünf Grad soll es ganz oben haben. Der ›Muppet-Show-Balkon‹, wie die Liebhaber mittlerer Höhen zum ­Gipfel der Sitzreihen sagen, ist äußerst gut besucht. Die Ränge links und rechts vom wuchtigen Saunaofen erinnern an das britische Parlament. Zwei Fraktionen sitzen sich gegenüber. Es ist laut. Wenige Sekunden noch bis zum Aufguss.

Das Floridsdorfer Hallenbad, das erste in der Nachkriegszeit erbaute Bad Wiens, wurde bei seiner Eröffnung am 7. Oktober 1967 als das modernste Hallenbad Europas gefeiert. Bundespräsident Franz Jonas, der im Arbeiterbezirk Floridsdorf aufwuchs und während des Krieges in der dortigen Lokomotivfabrik gearbeitet hatte, kam zur feierlichen Eröffnung des Prestigeprojekts, das er als Wiener Bürgermeister in Auftrag gegeben hatte. Was die Floridsdorfer vor dem Ersten Weltkrieg erhofft hätten, ginge jetzt, nach einem weiteren Krieg, in Erfüllung, sagte er bei seiner Eröffnungsrede. Als Bezirksvorsteher im russisch besetzten Floridsdorf hatte Jonas noch das Allernotwendigste organisieren müssen, 1967 konnte er als Überbringer sozialen Fortschritts auftreten – und ein Bad übergeben, das in seiner Großzügigkeit bis heute von keinem anderen öffentlichen Bad in Wien übertroffen wird.

Alles ist da, auch heute noch: Das Floridsdorfer Hallenbad umfasst eine Schwimmhalle für Wettbewerbe, ausgedehnte Saunabereiche, die auch Dampfbäder und Warmbadebecken enthalten, ein Restaurant, Turnsäle, Fitnessbereiche, Massageräume, Einzelbrausen, Ruhe- und Speiseräume, eine Dachterrasse zum Sonnenbaden sowie einen großen Außenbereich mit Liegewiese. Das Ganze ist in zurückhaltend-elegante 60er-Jahre-Architektur gepackt. Versetzte Baukörper, Fliesen, Glas – als Relikt der Moderne verschwindet der Bau durch seine Nüchternheit hinter den Bäumen der Franklinstraße. 

Weniger nüchtern ist sein Innenleben. Man munkelt, dass die Bademeister bestochen werden. Einst wurden hier Bleikristall und Damenstrümpfe gehandelt. Kaviar und Hochprozentiges gibt es heute noch steuerfrei, wenn man die richtigen Leute kennt. Für diese und andere heikle Geschäfte geht man am besten ins Herzstück des Bades, in einen der beiden Saunabereiche. Mobiltelefone sind dort nicht erlaubt, dafür feiert man immer noch verkleidet Fasching. Männer treffen Männer zu Kaffee und Kuchen. Angebahnt wird nur in der Kabine. Im dichten Dampf unterhält sich der ehemalige Hausbesetzer mit dem Eisenbahner, der Tierarzt mit dem Verkäufer. Das ›Europabad‹ von Architekt Florian Grünberger ist ein Unikat,  Prototyp einer sozialen Utopie, ein maschineller Uterus, der jeden aufnimmt, der es mit ihm aufnimmt. Das ist Luxus für alle.

Aber wie lange noch? Ist sozialer Wohlstand ein Auslaufmodell? Bald soll das Bad schließen, zumindest für acht Monate, womöglich länger. Für manche schließt damit ihr zweites Zuhause. Die Magistratsabteilung 44 hat, ohne sie zu fragen, beschlossen, ihnen ihr erweitertes Wohnzimmer umzubauen. Die Romantik sozialer Utopie auf der einen Seite, Modernisierung, Umweltschutz und Energiesparen auf der anderen. Ist Nassrasieren im Bad noch zeitgemäß? Lässt sich der Saunabetrieb, angesichts steigender Energiekosten, noch aufrechterhalten? In der Herrensauna, die sommers wie winters gut besucht ist und so etwas wie ein Diskussionsforum mit Wein- und Bierabgabestelle darstellt, herrscht seit Monaten Aufruhr. 

›Bisher ist bei Renovierungen noch nie etwas Gutes herausgekommen, außer vielleicht die Entfernung der Sitzbadewannen‹, sagt Kurt Schneider, ein Tom Selleck der Vorstadt mit Schnauzer, stets sonnigem Gemüt und Fixplatz im Götterhimmel der kochend heißen vierten Saunareihe, weit über der sogenannten Gemüselade zu Füßen der Alteingesessenen. Schneider ist seit Herbst 1993 Stammgast der Badeanstalt. Im Sommer davor fährt er mit dem Fahrrad nach Barcelona und bemerkt: Die Kondition lässt nach. ›Ich war 35 und hatte Beine wie Spaghetti. Da hilft nur die Kraftkammer, dachte ich.‹ Seine Ehe ist bereits in Schieflage, da entdeckt er die Turn- und Sportanstalt der Pädagogischen Akademie (TSA), die gerade erst ins Floridsdorfer Bad eingezogen ist. Frisch geschieden beginnt er mit Kraftsport und landet dadurch in der Sauna.

Sorge für das eigene Selbst zu tragen, ist eine Lebenskunst, die Schneider gut beherrscht. Dazu gehöre nun mal auch die Körperpflege, das Stutzen des Oberlippenbartes, die Nassrasur nach einem ausgiebigen Bad, das Eincremen nach dem abendlichen Saunagang, ein Fahrrad für den Nachhauseweg, bei kalter Wetterlage ein Body zum Schutz der Nieren. Es sind die kleinen Tricks im Leben, die den großen Unterschied ausmachen. Rasierschaum und Bartstoppeln drehen eine Pirouette im Abfluss, Schneider trocknet sich das Gesicht mit einem kleinen, weißen Frotteehandtuch, auf dessen Saum er mit schwarzem Filzstift ›Kurt‹ geschrieben hat.

In der großen Saunakammer ist wieder gute Stimmung. Ob draußen die Sonne auf den Asphalt brennt oder Schnee liegt, bei 95 Grad rennt der Schmäh. Echte Kenner kommen gerne im Hochsommer, denn dann führen wiederholte Saunagänge dazu, dass man es draußen danach als kälter empfindet. Man schläft gut. Einige Gäste sind jetzt im Frühjahr schon so braun, dass jeder Hautarzt bestürzt wäre. Im Mai eröffnet üblicherweise die Sonnenterrasse am Dach des Bades. Für viele Saunagänger ein Highlight, auf das sie den ganzen Winter warten. Während die Schwalben durch die Lüfte fliegen, kann man hier wunderbar seinen Bierrausch ausschlafen. Wo sollte man auch hinfahren, wenn man hier das ganze Jahr FKK-Urlaub machen kann? Die ganze Dienstagsrunde hat sich eingefunden. Die beiden Herberts, Vater und Sohn, ehemals Post, heute A1 und Pension, Bernhard der Pilot, der heute Straßenbahnen fährt, Christian der Eisenbahner. Jause und Spritzer sind im Aufenthaltsraum geblieben. ›Bravo Wachler‹, schallt es einem verlegenen Neuankömmling entgegen, der sich nach einem Platz umsieht. Gelächter. Zwecks Platzanweisung wird von zwei Seiten auf ihn eingeredet. ›Ruhe!‹, brüllt eine tiefe Stimme, als wäre es ein Schulausflug. 

Mit der Dachterrasse wird es heuer vermutlich nichts mehr. Es zahle sich vor dem Umbau nicht mehr aus, dort die ­Liegen herzurichten, erklärt ein Bademeister. Wilde Gerüchte machen die Runde: Bald wäre überhaupt alles gemischt – Geschlechtertrennung adé. Auf das Dach würde man Gemeindewohnungen bauen. Das sei absurd, heißt es aus der Bäderverwaltung im Wiener Amalienbad. Wahr sei, dass das Bäderkonzept von 1968 in den nächsten Jahren an seine Grenzen stoße. Die derzeit geltende Bäderstrategie 2030 sieht deshalb vor, dass drei der 38 Wiener Bäder neue Schwimmhallen erhalten. Gleichzeitig müsse den steigenden Energiepreisen Rechnung getragen werden, weshalb die Stadt Wien an allen Standorten insgesamt 44.000 Megawattstunden Energie einsparen möchte. Das wäre das Verschwinden einer Kleinstadt mit zehntausend Mehrpersonenhaushalten aus der jährlichen Energiebilanz. Alleine über eine Million Kubikmeter Wasser sollen gespart werden. Damit ließe sich der 8. Wiener Gemeindebezirk ein Jahr lang mit Trinkwasser versorgen.

Egal, mit wem man spricht, das Gefühl, ›die wollen uns wieder was wegnehmen‹, ist omnipräsent. An viele Umbauten erinnert sich niemand mehr, andere werden bis heute heftig diskutiert. So etwa das Verschwinden der beiden ­Buffetkantinen im zweiten und dritten Stock, direkt bei den Saunabereichen. Nebst kleinen, kalten Leckereien, wie gefüllten Salzstangen, Brezen oder der – für Saunen obligatorischen – Buttermilch, servierten Buffetdamen in Gesundheitsschuhen auch warme Speisen. Diese orderten sie per Telefon aus dem Restaurant im Erdgeschoss. Ein Speiselift brachte dann warme Frittatensuppe, Jägerbraten mit Kroketten oder ein ­Wiener mit Pommes. Das sei für viele Kerle lebensnotwendig gewesen, ist sich Schneider sicher. ›Die waren froh, wenn sie nicht bei ihrer Frau daheim sein mussten.‹

Bei der Eröffnung des Bades gab es noch strikte Geschlechtertrennung, die Frauen oben, die Männer unten. Beide Saunabereiche waren exakt baugleich, die Dampfkammern wurden gemeinsam aus dem Keller mit heißem Dampf versorgt. Alles war automatisiert. Von einer Vielfalt der Lebensentwürfe war keine Rede, Homosexualität war strafbar, die Kernfamilie das ausgerufene Lebensziel. Und die Badezeit war auf zwei Stunden begrenzt. Für richtige Ausschweifungen in der Kantine war das zu kurz. Deshalb gab es ein Schlupfloch: Nach Ablauf der eigentlichen Badezeit gab man den Schlüssel vorne am Schalter ab, ging dann aber in die Kantine zurück, wo das Kartenspiel und literweise Wein und Bier warteten. Altersbedingt gebe es immer wieder natürliche Abgänge, erzählt Schneider. Als aber plötzlich der Buffettrick unterbunden wurde, seien quasi über Nacht sehr viele Leute verschwunden. Schließlich fiel das Buffet selbst einem der nächsten Umbauten zum Opfer. Es habe sich nicht mehr rentiert, hieß es. Übriggeblieben ist ein nüchterner Aufenthaltsraum, der an einen Warteraum in einem Bahnhof oder einen Obduktionsraum erinnert. Traurig hängen vergilbte Faschingsgirlanden über die grauen Fliesen. Ein Gruppenbild aus alten Zeiten, bestehend aus unzähligen Einzelporträts, erzählt eine Geschichte von Gemeinschaft. ›Für diese Männer war das Buffet im Saunabereich das Wichtigste. Gerade einmal, dass sie gewaschen zurück nach Hause kamen‹, erinnert sich Schneider. Auch vom berüchtigten ›Saunasandler‹ erzählt man sich noch heute Anekdoten. ›Der wusch seine Kleidung in einem der Fußbecken und hat sie dann in den automatischen Handtuchtrockner gehängt, während er gebadet hat‹, erzählt Schneider. 

Wieder knarrt die Glastür der Sauna. Alle Köpfe drehen sich zum Eingang. Auch der von Herbert senior: ›Kurti, mei Bua!‹ Frisch rasiert erklimmt Kurt Schneider in letzter Sekunde und unter allgemeinem Raunen seinen Stammplatz, ganz oben links. ›Da ist er ja, der alte Schabrack!‹ Manche Begrüßung unter alten Bekannten fällt derb aus, so wie die Entgegnung: ›Du, ich war schon bei ihr, du brauchst nichts mehr machen, nur mehr Fernsehen heute.‹

›Ich finde es in der Sauna einfach lustig. Das kann dir kein Kabarett der Welt bieten‹, sagt Helmut Mayerhofer, der gerade das Saunatuch geschwungen hat und als bester Aufgießer gilt. Dreitagebart, Jesuspatschen, zeitweise Wollsockenfraktion. Der Altruist aus Stammersdorf spielt in seiner eigenen Liga, wenn er jeden Dienstag und Donnerstag das Handtuch schwingt. Schon als Kind war Mayerhofer bei der feierlichen Eröffnung des Bezirksbades dabei. Keiner kennt die Sauna wie er. ›Mein Vater war Tischler und arbeitete ums Eck. Mit ihm war ich das erste Mal hier.‹ Das ist mittlerweile fünf Jahrzehnte her. Schon sein Großvater habe sich einmal pro Woche eine Badewanne genommen, weil es bei ihm zu Hause keine gab. Großes Reinemachen sozusagen. ›Dann passierte es aber immer wieder, dass er nach einem Saunagang ins Kaltwasserbecken getragen wurde, weil er nicht mehr deutlich artikulieren konnte, dass er daneben ins warme Wasser möchte.‹

Der Zusammenhalt sei hier gut, die Obrigkeit sei es nicht. Man fühle sich wie im Kommunismus, erklärt ein Badegast: Statt mit Schnaps müsse man jetzt mit Billigduft aus China aufgießen, der weder ätherische Öle noch Alkohol enthalte. Eine Frechheit sei das. Überall tropfe es aus der Decke, aus den Wänden. Tatsächlich, mehrmals hat die MA 44 die Fliesen heruntergestemmt, dann entschied sie sich, neue Rohre außen an der Wand zu verlegen. Nicht alle Umbauten seien schlecht gewesen, meint einer. Jetzt mischt sich ein anderer Gast ein und brüllt herüber: ›Was die mit unserer Dampfkammer gemacht haben, schon!‹ Eine hitzige Diskussion entsteht. ›Die Herren haben sich dauernd aufgeregt, dass es zu kalt ist, während die Damen sich aufgeregt haben, dass es zu heiß ist‹, erzählt ein weiterer Gast. Mayerhofer ergänzt: ›Die Einführung gemischter Tage war sehr umstritten. Es gab Männer aus dem anderen Lager, oft Pärchen, die dann nie wieder gekommen sind.‹

Im Kellerbüro von Badebetriebsmeister Christian Wonka läuft leise das Radio. Weißes Stadt-Wien-Polohemd, Stoppelglatze, treue Augen. Hier spricht die Erfahrung. Wonka ist seit 1986 bei der Stadt, zuerst Friedhöfe, dann Wasser. Seit 2017 ist er bei den Wiener Bädern, koordiniert Personelles, die Material­beschaffung und den reibungslosen Ablauf des Bade- wie Saunabetriebs. Heute schiebt er eine dreizehnstündige Schicht. Sein Tag hat um sechs Uhr begonnen, eine Dreiviertelstunde bevor das Bad zum Frühschwimmen öffnet. Dass hier eine Topleistung zu günstigsten Preisen geboten werde, sei für viele selbstverständlich. Wonka läuft zum PC und blickt in seine Aufzeichnungen: ›Durchschnittlich 20.000 Gäste sind es jeden Monat.‹ Da bekomme er schon einiges mit. 

 ›Natürlich kommt keine Zusammenlegung der Saunabereiche. Dann könnten wir ja gleich ein ganzes Stockwerk abtragen‹, scherzt er. Stille Post sei es, was hier unter Gästen geredet werde. Für sie werde sich wenig ändern, wenn die geplante Wärmepumpe in Betrieb geht, die Lüftungsanlage und die Beleuchtung getauscht werden. Die Sonnenterrasse jedoch werde bald Geschichte sein. ›Wir reden hier von einem notwendigen Schritt, um den Energieverbrauch des Bades zu senken‹, sagt der gelernte Werkmeister. ›Wer noch in der Sonne liegen möchte, kann das unten auf der Wiese tun. Oben am Dach jedenfalls brauchen wir jeden Zentimeter für Photovoltaik.‹ 

Das ist nicht nur in Floridsdorf so. Bis 2030 möchte die MA 44 eine Fläche von drei Fußballfeldern an Photovoltaik betreiben. In Zeiten immer knapper werdender öffentlicher Budgets kommen private Unternehmen für die Finanzierung von Umbauten auf. Im Rahmen sogenannter Private Public Partnerships (PPP) schließt die Stadt Wien Energiespar-Contracting-Verträge mit Fachfirmen ab. Im Gegenzug tritt die Stadt in eine Art Mietverhältnis ein. Bei errechneten Einsparungen von über zehn Millionen Euro pro Jahr ein vermeintlich gutes Geschäft. Und ein Trick, um Bilanzen zu schönen, denn die Kosten millionenschwerer Investitionen verwandeln sich in überschaubare Rückzahlungen. Seit über zwanzig Jahren schließt die Stadt Wien solche öffentlich-privaten Partnerschaften ab. Im Bereich der Bäder belaufen sich die bisher abgeschlossenen Verträge auf 116 Millionen Euro. 

Wieder geht das rote Lämpchen der Sauna an. Wieder ist Aufguss. Einer von 5.680, die laut MA 44 jede Woche in Wiens Bädern stattfinden. Augenblicklich ist es leise. Wasser stürzt auf die glühend heißen Steine. Es zischt. Wie ein antiker Dreizack ragen die blanken Edelstahlrohre des Aufgussautomaten aus der Wand. Heißer Dampf breitet sich aus, als hätte ein dreiköpfiger Zerberus seinen tödlichen Atem ausgestoßen. Kommentarlos nimmt der Held des abendlichen Bühnenstücks den Kampf mit ihm auf. Zunächst bewegt er die Luft horizontal, während sich über ihm ein Hitzesee bildet. Ein betörender Duft breitet sich aus. Es riecht nach reifen Pflaumen. Als Schnaps sind sie über die österreichisch-ungarische Grenze gewandert. Boschi, der ehemalige UNO-Wachmann, ist ein Connaisseur edler Brände. Er gehört einer Generation an, die gelernt hat, wie man Dinge beschafft. Andere wissen, wie man Dinge verschwinden lässt. Das kleine Kunststofffläschchen mit Chemie der Stadt Wien, das eben noch am Ofen stand und für den Aufguss vorgesehen war, hat plötzlich keiner mehr gesehen. Kräftiger Applaus.

Private Düfte, Schnäpse, all das sei absolut verboten, denn es bestünde immer Gefahr, dass jemand etwas zusammenpanscht, mahnt Badebetriebsmeister Wonka. Explosionsartige Stichflammen habe es dabei schon gegeben. ›Wir haben Sicherheitsdatenblätter und zertifizierte, freigegebene Düfte.‹ Jeder könne sich bei ihm informieren. Hauptsächlich würden sich die Damen über die neuen Düfte der Stadt Wien beschweren. Sogar eine Unterschriftenliste hätten sie angedroht. ›Richtige Saunagäste benötigen aber überhaupt keinen Duft‹, ist sich Wonka sicher.

Seit Kurzem liest man auf foliertem Papier, dass Rasieren verboten ist. Wie andere ist auch Schneider empört: ›Das ist eine Frechheit. Seit 1967 haben sich die Leute hier rasiert.‹ Das gehöre ganz einfach zur Mannespflege dazu. Nachvollziehbar sei das plötzliche Verbot nicht. ›Ganz aus, nicht einmal Gesichtsrasur, das finde ich nicht okay.‹ Völlig anders sieht das die Betriebsleitung: Seit vier Monaten diskutiert Christian Wonka mit der Herrenrunde, die nicht aufhören will, sich zu rasieren: ›Dabei ist Rasieren absolut verboten. Da geht es nicht nur um die Hygiene, ein Rasiermesser gilt als Waffe.‹ Der erste rasiere sich sein Gesicht, der nächste die Achseln und der dritte den Schambereich. ›»Bitte unterlassen Sie das.« – »Wieso? Ich rasiere mich hier schon zwanzig Jahre und werde mir das sicher nicht wegnehmen lassen«‹, so laufe der übliche Dialog. Jetzt läutet das Telefon, Wonka läuft zur Kassa. Ein Badegast ist irritiert, dass sein Schlüsselband eine andere Farbe hat. ›Wegen so etwas muss man sich hinstellen und diskutieren, jede Woche mindestens drei oder vier Mal.‹ Der typische Wiener sei ein Raunzer und Wonka selbst ist sichtlich genervt: ›Das möchte ich jetzt auch einmal sagen. Jeder denkt, die Sauna ist sein Wohnzimmer.‹

Ein Stöhnen geht durch die oberen Reihen der Saunakammer. Der nächste Schwall hat die Steine berührt und sich augenblicklich in Hitze verwandelt, die nun langsam nach unten sinkt. Helmut Mayerhofer praktiziert jetzt seinen ­berühmten ›Nierenstesser‹. Er klettert dabei wie eine Bergziege durch die oberen Ränge und dreht das Handtuch hinter dem Rücken jedes vorgebeugten Saunagastes. Die warme Luft soll an den unteren Rücken und die Nieren heran. Das sorgt für Wohlbefinden. Körper für Körper arbeitet er sich vor. Jeder bekommt eine Portion Aufmerksamkeit. Manche Oldies gebärden sich wie Teenager und stöhnen wie beim Sex, andere genießen die Gänsehaut, während die Hitze mittlerweile fast unerträglich ­geworden ist. Köpfe leeren sich, Verspannungen verschwinden. Man ist sich nähergekommen.

Der Reiz eines gemeinsamen Saunaaufgusses entsteht erst durch das Aushalten von Temperatur und Mitmenschen. Im utopischen Raum der Sauna, wo alle Hüllen gefallen sind, bleibt einem nur die nackte Menschlichkeit. Das mag ins Fellineske gehen, weil der Mensch im Grunde absurd und tragisch ist. Trotzdem kann man es genießen. ›Geh Helmut, hol uns einen runter!‹ Mit kräftigen Schlägen und unter tosendem Applaus leitet Mayerhofer das Finale ein. Durch das Straffziehen über dem Kopf gibt das Saunatuch ein dumpfes Knallgeräusch ab. Jedem Knall folgt eine gewaltige Hitzewelle. Der Heißluftsee an der Decke des Raumes ergießt sich jetzt erbarmungslos über die unteren Ränge. Das rote Licht geht aus. Wer jetzt noch sitzen bleibt, bekommt eine Damenspende, eine besondere Aufmerksamkeit in Form heißer Luft, die nach ungarischen Pflaumen duftet. Egal ob es acht Monate oder länger dauert: Hier wird man sich wiedersehen. •