Die Augen des Widerstands
Rafał Milach hat ein Archiv öffentlicher Proteste aufgebaut.
Uns blicken die Augen einer jungen Person entgegen, wach und voller Entschlossenheit. Das Venus-Symbol, in leuchtenden Farben als Augen-Make-up aufgetragen, dient als Zeichen des feministischen Kampfes. Eine schwarze Maske verhüllt den unteren Teil des Gesichts, doch die Augen sprechen eine deutliche Sprache.
Die Aufnahme entstand inmitten der Proteste, die 2020 bis 2021 die polnischen Straßen füllten, als die rechtskonservative Regierung versuchte, das Abtreibungsrecht weiter zu verschärfen. Die Maske, die sowohl als Schutz vor der laufenden Pandemie als auch vor staatlicher Repression dient, verweist auf gleich zwei Krisen, die in diesem Moment sichtbar werden – eine Gesundheitskrise und eine Krise der Frauenrechte.
Rafał Milach (*1978) ist Teil der Protestkultur, die sich über Jahre in Polen entwickelte, und baute ab 2016 ein von ihm initiiertes Archiv namens ›The Archive of Public Protests/A-P-P‹ auf. Aufgewachsen während des Zerfalls des Ostblocks, untersucht er in seinen Arbeiten historische und politische Ereignisse sowie die damit verbundenen Transformationsprozesse. Die Plattform A-P-P beschäftigt sich mit sozialen Initiativen und deren Engagement für Menschenrechte und Demokratie. In einer Zeit, in der der Populismus die Gesellschaft zunehmend spaltet, werden hier Protestkulturen in den Themenfeldern Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Frauenfeindlichkeit und Klimakrise reflektiert. Immer wieder rückt das Archiv einzelne Protagonistinnen und Protagonisten dieser Bewegungen in den Fokus, die so zum Gesicht des Widerstands werden.
Das Archiv steht Menschen aus den Bereichen Forschung, Pädagogik, Kunst und Aktivismus frei zur Verfügung, wodurch eine kollektivistische Nutzung, solidarische Verbreitung und langfristige Verankerung ins kulturelle Gedächtnis ermöglicht wird. Zwischen 2020 und 2024 wurden zudem neun Ausgaben der Strike Newspaper veröffentlicht, die Slogans der Demonstrierenden, Zeugenaussagen und Fotos von A-P-P-Mitgliedern wie Alicja Lesiak und Paweł Starzec sowie eingeladenen Fotografinnen und Fotografen zeigen. Das A-P-P wurde ebenso in Teilen bereits im Museum Folkwang, Essen (2023/24), und anderen Orten präsentiert und ist ab dem 21. März 2025 im Foto Arsenal Wien in der Gruppenausstellung ›Magnum. A World of Photography‹ zu sehen.
Diese vielschichtige Proteststruktur erinnert uns daran, dass der Widerstand nicht aufhört – auch wenn die politischen und sozialen Spannungen weltweit zunehmen. Die Bildzeugnisse sind ein Aufruf, die Augen offen zu halten und sich aktiv den fortwährenden Angriffen auf Demokratie und Menschenrechte zu stellen. Sie mahnen uns, dass nur durch gemeinschaftlichen Zusammenhalt Veränderungen möglich sind. •
Mona Schubert ist Kuratorin der Foto Wien und des Foto Arsenal Wien, Österreichs neuem Zentrum für fotografische Bilder und ›Lens Based Media‹. www.fotoarsenalwien.at