Wie es ist … nicht riechen zu können 

·
Fotografie:
Saxer
DATUM Ausgabe Juni 2025

Seit meiner Kindheit habe ich keinen Geruchssinn. Wann genau ich das herausgefunden habe, weiß ich gar nicht mehr. 

Wenn ich mir morgens Parfum draufgebe, weiß ich nicht, wie ich den Tag über riechen werde. Das Parfum, das ich trage, habe ich nicht selbst ausgesucht. Früher hat meine Mutter Parfums für mich gekauft. Einmal, als ich bei meinen Eltern zu Besuch war, lag dort eine Parfumprobe herum, die ich ausprobierte. ›Das riecht so gut‹, hat meine Mutter dann zu mir gesagt. Seitdem nutze ich dieses Parfum, denn es ist das erste, für das ich ein Kompliment bekommen habe.  

Wenn ich Seifen und Deos kaufe, achte ich immer auf die Marke und den Preis. Ein nicht allzu billiges Deo von einer guten Marke sollte schließlich gut riechen. Das hoffe ich jedenfalls. Wissen kann ich es nicht. 

Wie ich rieche, ist mir wichtig. Wichtiger, als gut zu riechen, ist mir aber, nicht zu stinken. Hin und wieder mache ich mir darüber Sorgen: Stinke ich vielleicht und merke es nicht? Dabei weiß ich gar nicht, was es bedeutet. Ist es schlimm, wenn man stinkt? Wie ist es überhaupt, neben einer Person zu sitzen, die stinkt? Ist das aushaltbar? 

Besonders gestresst haben mich diese Gedanken in der Pubertät. Da hat man sowieso schon viele Selbstzweifel und fängt auch noch an, so richtig zu schwitzen.  

Mit 15 bin ich dann auch einmal zum HNO gegangen. Der hat mir verschiedene Gerüche unter die Nase gehalten und gefragt, ob ich das riechen kann. Als ich verneinte, sagte er nur: ›Da kann ich Ihnen auch nicht helfen.‹ 

Seitdem habe ich nichts mehr gegen meinen fehlenden Geruchssinn unternommen. Vermissen tu ich ihn eigentlich nicht, ich weiß ja nicht, wie es ist, riechen zu können. Aber neugierig bin ich schon. Wenn es morgen ein Mittel gäbe, mit dem ich riechen könnte, würde ich das ausprobieren. Aber ich kann auch zufrieden sterben, ohne jemals den Duft von ­frischem Kuchen geschnuppert zu haben. 

Zumindest kann ich den Kuchen schmecken. Trotzdem muss ich Lebensmittel häufiger wegwerfen als andere. Wenn das Ablaufdatum der Milch überschritten ist, kann ich leider keinen Riechtest machen, sondern sie landet direkt in der Tonne. 

Auch mit der Kleidung bin ich extra vorsichtig. Ich wasche meine T-Shirts lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. In solchen Dingen kann es ein Nachteil sein, nichts riechen zu können. 

Ich erinnere mich daran, wie ich mit 13 Jahren mit einem Freund ein Tiefkühlbaguette aufbacken wollte. Wir haben für eine Mathe-Arbeit gelernt und das Baguette in der Mikrowelle vergessen. Das ganze Haus hat nach verbranntem Baguette gestunken – und ich habe nichts gemerkt. 

Manchmal kann mein fehlender Sinn aber auch ein Vorteil sein: Zwar kann ich keine Blumen und kein frisch gekochtes Essen riechen, dafür aber auch nicht, wenn es nach Müll stinkt. Und nach jemand anderem die Toilette zu benutzen, ist für mich kein Problem. Vielleicht könnte ich bei der Müllabfuhr arbeiten. Meine Interessen liegen zwar woanders, aber ich würde es nicht ausschließen. Wenn ich dabei einen Vorteil habe, warum sollte ich den nicht nutzen? 

Vor ein paar Monaten habe ich mich von meiner Freundin getrennt. Ich musste meine Sachen bei ihr abholen. Sie sagte zu mir: ›Du hast echt Glück, dass du nicht riechen kannst.‹ Ich glaube, bei vielen Leuten können durch einen vertrauten Geruch starke Erinnerungen hochkommen. Mich lässt sowas komplett kalt. •

Zur Person:

Paul Saxer (25) absolviert derzeit ein Arbeitstraining in der DATUM-Redaktion und ist Teil des DATUM-Talenteprogramms. 

Sie können die gesamte Ausgabe, in der dieser Artikel erschien, als ePaper kaufen:

Diese Ausgabe als ePaper für € 6,00 kaufen