Fräuleinwunder

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Volkstheater
DATUM Ausgabe März 2025

Am Beginn eilt eine geschwätzige junge Frau durch die Zuschauerreihen und spricht wahllos Personen an. Wie lebt es sich so als besonders gutaussehende Person? Kennen Sie sich aus mit Beruhigungsmitteln? Fräulein Else ist unruhig, aufgekratzt, und ihr humorvoller Überschwang kann kaum ihre Nervosität verbergen.

In Leonie Böhms aktueller Volkstheater-Inszenierung von Arthur Schnitzlers Monolog-Novelle ›Fräulein Else‹ wird ein Fall von sexualisiertem Machtmissbrauch klug und originell verhandelt. Die Geschichte von 1924 erzählt die inneren Nöte einer behüteten jungen Anwalts-tochter in einem Kurhotel. Ihr hochverschuldeter Vater hält Else brieflich an, einen älteren, vermögenden Hotelgast um ein Darlehen zu bitten, das den Vater vor einer Haftstrafe und die Familie vor gesellschaftlichem Niedergang bewahren soll. Der Mann sagt Else das Geld gegen sexuelle Dienste zu.

Else, benutzt von allen Seiten, hadert mit sich und tritt immer wieder mit dem Publikum in Kontakt, um den Gewissenskonflikt zu lösen. Julia Riedler verkörpert als Alleindarstellerin Elses schwankende Gefühle und die Zerrissenheit besonders intensiv und glaubhaft, was ihr am Ende ihrer anderthalbstündigen Performance Standing Ovations einbringen wird. Und die Inszenierung erlaubt auch einen kurzen Schwenk in die Gegenwart. Ironisiert wird da nämlich nicht nur Elses Perspektive gezeigt, sondern auch eine mäßig glaubwürdige Pseudo-Einsicht des Täters, vorgetragen in zeitgeistiger Sprache des ›Voll-sorry-Seins‹.

›Fräulein Else‹ frei nach Arthur Schnitzler, von Leonie Böhm und Julia Riedler

Termine: volkstheater.at

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