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Zeremonien des Abschieds

DATUM Ausgabe Dezember 2018 / Jänner 2019

Die Formen des Umgangs in einer Gesellschaft sind keine bloßen Äußerlichkeiten, die man nach Belieben auswechseln könnte. Aus Umgangsformen spricht sowohl der Zeitgeist als auch die Idee, die eine Gesellschaft von sich hat. Der ›Zeitgeist‹ ist natürlich ein Schmäh, den Goethe seinerzeit unsterblich aufgeklärt hat: ›Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigner Geist, / In dem die Zeiten sich bespiegeln.‹

Auch deshalb schwärmt die bürgerliche Kultur so gerne von der Zeitlosigkeit, die sie vor allem ihren kulturellen Produkten verschaffen möchte, um auch das Ewige auf ihre Seite zu bringen. Sonst sind die Bürgerlichen mehr für die Wahrheit, die als Tochter der Zeit auftritt – mit so einer Tochter hat man freie Hand für seine zeitgemäßen Absichten, für obszöne Koalitionsbildungen zum Beispiel.

Da er jetzt wieder auftritt als Sänger, der Erfinder der ›creative industries‹ für Österreich, der Kulturstaatssekretär Franz Morak, ist mir eingefallen, dass dieser Schauspieler einen Tag, bevor er in die Regierung Schüssel eingetreten ist, der Kleinen Zeitung noch anvertraut hat, niemals in eine Regierung mit der FPÖ einzutreten.

Recht hat er gehabt, Flexibilität gilt bis ans Ende des Zwölf-Stunden-Tags, aber könnte der flexible Mensch (den ein paar Spezis aus der Kulturszene eh sehr lieb hatten) nicht wieder Politik machen, damit er nicht so viel singen muss – und gegen Blümel ist dieser Sänger eine Fachkraft der Kulturpolitik, auf die man in Österreich nicht einfach verzichten kann.

Genug Respekt gezollt, ich will ja in meiner Glosse weiter, zunächst nur zu einem einfachen Beispiel für das Heikle an Experimenten mit Verhaltensnormen. Die sogenannten Achtundsechziger, die geliebten und verhassten Träger der Jugendbewegung von 1968, führten die Sitte ein, jeden Menschen, auch jeden fremden Menschen zu duzen. ›Siezen‹ war für sie eine übertriebene und geheuchelte Ehrbezeugung, an deren Stelle die Solidarität im Zeichen der Gleichheit zu treten hätte, also das allgemeine Du!

Dieses ›Du für alle‹ war keineswegs allen recht. Viele Menschen bestehen darauf, gesiezt zu werden, weil sie Distanz halten wollen. Man kann in dem Zusammenhang daran erinnern, dass die Lebens­gefährten Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, das Philosophenpaar, einander niemals duzten. So zeigt sich, was Umgangsformen leisten: Sie regulieren das Verhältnis von Distanz und Nähe der einzelnen Menschen in einer Gesellschaft.

Man hat seinen Distinktionsprofit, den Profit daraus, sich von anderen Leuten zu unterscheiden, wenn man den eigenen Lebenspartner siezt. Aber damit setzt man – durch Wahrung der Distanz – auch ein Signal der Achtung und, wer weiß, vielleicht ist es auch ein Wahrzeichen dafür, dass der einem Nächste so nahe nicht steht, wie es in der zur Schau getragenen Zusammengehörigkeit sein müsste. Die Nähe von Sartre und Beauvoir hat sich (auch wenn ein Buch dabei herausgeschaut hat) als bedingungslose, als absolute erwiesen, weil sie dem Mann zur Seite stand, während er schon lange nicht der Hochglanz-Sartre war, sondern ein Mensch in seiner Sterbensnot.

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