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Das germanische Impfproblem

Warum im Paradies offenbar andere Standards gelten.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Dezember 2021

Wer im Westen geboren ist, wird im Rest der Welt beneidet. Dafür, dass sein Leben ein wenig unbeschwerter und ungefährlicher verlaufen wird. Den Jackpot in der Geburtenlotterie hat er dann, wenn er noch dazu im ›guten Teil‹ des Westens zu Hause ist: in Westeuropa, im germanischen Westeuropa, in Österreich, Deutschland, der Schweiz. Es ist die VIP-Lounge des Westens, da, wo es noch einen Staat gibt, der einen nicht hängen lässt, egal wie krank, arbeitslos und irrational man ist. Hier ist das Paradies. 

Knapp hundert Millionen Menschen haben Zutritt dazu. Und genau sie führen derzeit eine Statistik an, die international für Irritation sorgt. Die Financial Times hat sich im November angesehen, wie viele Personen in 16 Ländern aus Westeuropa gegen Corona geimpft sind – und wie viele nicht. Das Ergebnis: Die meisten ungeimpften Westeuropäer stammen aus dem Paradies: Österreich (24,8% der impfbaren Bevölkerung über zwölf Jahren), der Schweiz (24,4%) und Deutschland (22,1%). 

Warum ausgerechnet hier? Was hat die deutsche Sprache, die deutsche Mentalität, die deutsche Kultur mit der Impfskepsis zu tun? Gibt es da eine Korrelation? In jedem anderen Teil der Welt wären die Autoren schnell bei der Hand mit kulturalistischen, gar biologistischen Erklärungen. Unterstrichen werden würde etwa die Tatsache, dass es in einem Vielvölkerstaat wie der Schweiz eine höhere Impfquote im französischsprachigen und italienischsprachigen Teil gibt, nicht hingegen in den deutschsprachigen Gebieten. Was hat es damit auf sich? Fehlt den Deutschsprachigen der Sinn für das Gemeinwohl? Sind sie beseelt von ihrer körperlichen Unverwundbarkeit, die anderen fehlt? Oder lässt sich die German Angst vor der Impfung gar romantisieren? Dass gerade in diesen drei Ländern ein besonders kritischer Geist zu Hause ist, der jede Autorität, und sei sie noch so wohlwollend, in Frage stellt? Nichts Geringeres als ein Zeichen des demokratischen Fortschritts also. Hier hat man aus der Geschichte gelernt. Blind gefolgt wird nicht mehr. 

Die Kommunikationswissenschafterin Suzanne Suggs von der Universität Lugano liefert für die Impfrenitenz dieser drei Länder eine andere Erklärung. Zu leidenschaftslos hätten die Regierungen in ihrer Impfpolitik kommuniziert, ›funktional statt emotional‹. An die Gefühle hätten die Gegner appelliert, die Verschwörungsfantasten, wird Suggs in der Financial Times zitiert. Menschen, die sich nicht informieren würden, könnten auf dieser Ebene leichter gewonnen werden. Daher die niedrige Impfquote.

Mit blanken Zahlen braucht niemand kommen. Das hat Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) begriffen, als er seine Landsleute im September mit einem Gewinnspiel in die Impfung lockte. Nicht unbedingt an das Gefühl, aber an die Gier hat er dabei appelliert. Wer sich impfen ließ, hatte die Aussicht, ein Auto zu gewinnen. 12.000 haben mitgemacht. Der Gewinnerin überreichte der Landeschef dann persönlich die Autoschlüssel.

Tränen hatte sie dabei in den Augen. So läuft das nun einmal im Westen. Während in anderen Ländern Impfwillige wegen mangelnder Impfdosen sterben, werden sie hierzulande den Menschen nachgeschmissen – neue Autos inklusive. 

Das sind die Standards im Paradies. Seine Bewohnerinnen und Bewohner sind schließlich einen gewissen Komfort gewohnt. Und der beinhaltet auch, permanent einer Arroganz zu frönen, die nur jene ausleben können, die genau wissen, dass sie selbst in einer Krise weich gebettet sein werden, wenn sie fallen. Denn für sie findet sich im Paradies immer irgendwo ein (Intensiv-)Bett. •

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