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›Das Leben ist wie unheilbar krank‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit dem Kabarettisten und Schauspieler Josef Hader.

DATUM Ausgabe Oktober 2016

Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?
Das war, als mein erster Bruder mit neun Monaten gestorben ist. Ich war vier oder fünf Jahre alt. Ob mir damals klar war, dass der Tod unabänderlich ist, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich an meinen Vater, mit diesem winzigen Sarg auf seinen Schultern. Als nächstes ist mein Großvater gestorben, da war ich zwölf. Ich war in einem Internat und an dem Tag gab es eine Art Wettbewerb mit Kindern aus verschiedenen Pfarren. Ich wusste, dass mein Opa im Krankenhaus ist und nach dem Quiz hat mir ein Bub aus meinem Heimatort gesagt, der Pfarrer habe ihn damit, beauftragt mir zu sagen, dass mein Opa gestorben ist. Aber erst nach dem Quiz, damit unsere Pfarre besser abschneidet. Das raue Landleben. Mein Vater ist zwanzig Jahre später gestorben. Er ist während der Arbeit von einem Hochsilo gefallen. Da war er so alt wie ich jetzt. Er lag zwei Wochen auf der Intensivstation und ich war viel dort. Mein Vater und ich, wir waren grundverschieden. Ab zehn war ich im Internat und dann in Wien zum Studieren. Ich hätte mich ihm gern wieder angenähert, aber das war dann nicht mehr möglich.

Beschäftigt Sie das?
Ich denke manchmal daran, aber ich denke nicht dauernd darüber nach. Ich grüble nicht lang über Dinge nach, die man nicht ändern kann. Da bin ich mehr ein Bauer, so wie mein Vater. Bei meiner Mutter war das dann besser, mit ihr bin ich in ihren letzten Lebensjahren viel weggefahren und habe Zeit mit ihr verbracht.

Ist diese frühe Begegnung mit dem Tod ein Grund, dass er sich als roter Faden durch Ihre Arbeit zieht?
Ich beschäftige mich nicht mit dem Tod, weil ich muss. Da ist kein Drang in mir. Ich mag nur gerne Witze an der Grenze. Witze am Abgrund. Es macht Dinge erträglicher, vor denen man Angst hat.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Keine Angst, aber er ist ein unangenehmer Gedanke – hauptsächlich deshalb, weil es immer mehr Menschen geben wird, von denen man endgültig Abschied nehmen muss. Den eigenen Tod finde ich eigentlich nicht so schlimm. Das passiert dann halt, und man hofft, dass das Sterben nicht wehtun wird. Man könnte auch vermuten, dass der Tod durch die Todesfälle von nahen Menschen zu etwas geworden ist, von dem ich mir denke: Das überlebt man eh. Das klingt vielleicht komisch, aber seit ich meiner Mutter beim Sterben zugesehen habe, hab ich weniger Angst vor dem Tod. Die war manchmal bei Bewusstsein, aber meistens war sie in ihrer Kindheit. Einmal hat sie mich angeredet, als wär ich ihr Vater. Da spielt einem der eigene Körper vor dem Tod offenbar noch einen schönen Film vor, das macht das Sterben leichter, darauf hoffe ich.

Wer ein guter Künstler sein will, muss seine Schwächen, seine Kleinlichkeiten gut kennen und das leben Sie auf der Bühne aus. Ist das gut, weil man lernt, sich besser zu akzeptieren, oder ist es ganz furchtbar, sich immer so klar zu sehen?
Es ist immer gesund, sich mit seinen Schwächen zu beschäftigen. Nur ist es im normalen Leben nicht sonderlich attraktiv, wenn man sie aufspürt und ausstellt. Das ist das Praktische an der Kunst, dass da eine Umwertung stattfindet: Man stellt seine Schwächen aus und bekommt dafür Applaus. Ich bin über die Jahre durch die Beschäftigung mit meinen Schwächen etwas versöhnlicher geworden. Ich find sie nicht mehr so schlimm, sie sind halt ein Teil von mir.

Herr Hader, wie wollen Sie sterben?
(lacht) Da bin ich ganz nüchtern: Wenn ich etwas nicht bestimmen kann, brauch ich mir auch keine Gedanken darüber zu machen. Es hat keinen Sinn mir das zu überlegen, weil mich fragt ja niemand. Außer Sie gerade.

Und ich habe keinen Einfluss darauf.
Genau. Man muss versuchen, aus allem etwas zu machen, auch aus dem Tod. Außer er überrascht einen, dann braucht man sich eh nix dazu überlegen. Man muss ja sein Leben lang seine Lebenszeit gestalten, bis zum Ende. Das ganze Leben ist also wie unheilbar krank – nur länger. Ich merke, dass ich bestimmte Ziele direkter verfolge, weil die Lebenszeit weniger wird. Ich habe jetzt einen Film gemacht, das erste Mal mit Regie und Buch und Hauptrolle, so einen Film wollte ich seit zwanzig Jahren machen. Mitschuld ist sicher, dass ich mir gedacht habe, wenn ich ihn jetzt nicht mache, bin ich bald zu alt dafür.

Wird Ihnen das Leben kostbarer?
Ich überlege mir schon, wie viele Jahre ich noch mit voller Kraft arbeiten kann und was ich mit diesen Jahren anfangen will. Ich lehne jetzt Dinge ab, die ich vor zehn Jahren noch angenommen hätte. Ich will nicht den Fehler machen, mit fünfzig so zu tun, als hätte ich noch das halbe Leben vor mir. Man wird älter. Das ist nicht angenehm, und man braucht einen Gegenwert. Mein Gegenwert schaut so aus, dass ich jetzt manchmal sage, bestimmte Sachen tue ich mir nicht an. Man schenkt sich sozusagen Dinge, die man nicht mehr tut. Das ist ein wertvolles Geschenk für jemanden wie mich, der immer sehr schlecht Nein sagen konnte.

Was passiert nach dem Tod?
Der Taxifahrer im ›Aufschneider‹ sagt, nach dem Tod ist wie vor der Geburt. Das find ich ganz realistisch. Sokrates sagt zu den Richtern, die ihn zum Tod verurteilt haben: ›Jetzt gehen wir auseinander. Sie, meine Herren, um zu leben, ich, um zu sterben. Wer von uns beiden das bessere Geschäft betreibt, weiß nur Gott.‹ Ein tröstlicher Gedanke. Ich habe das Leben immer als Spielsituation verstanden und die Sichtweise, dass man im Ernstfall etwas nicht ernst nimmt, kann ein Reflex werden durch den einem bestimmte Dinge verbaut werden. Es ist ein Handel. Man schafft es, sich an der letzten Schwere des Lebens vorbeizudrücken, aber manches kriegt dadurch vielleicht nicht die Gewichtung, die es verdient.

Leben Sie in einer positiven Grundstimmung?
Ja. Das liegt daran, dass ich mir Ziele setzen kann. Ich gehe mit meinem Narzissmus produktiv um. Jede Enttäuschung und jede Kränkung setzt einen trotzigen Motor in Kraft. Wenn ich einen Misserfolg erlebe, habe ich drei Tage Magenweh, aber dann setzt der Bauerntrotz ein und ich nehme wieder einen Anlauf. Ich war ein mittelmäßiger Schüler, ein schlechter Fußballer, aber was ich gut konnte, war Theater zu spielen, vorzutragen. Ich hab von Anfang an meine Rolle und meinen Wert in der Gesellschaft mit dem kulturellen Schmäh gefunden. Das ist kein schlechterer Schmäh als andere, weil letztlich ja jedes äußere Ansehen, das man sich erwirbt, auf einem Schmäh beruht.

Was macht Ihr Leben lebenswert?
Beziehungen in der Schönheit zu führen, die sie verdienen. Das gelingt natürlich nicht, aber man scheitert interessant. Begegnungen erleben. Projekte realisieren. Ich würde noch gerne ein paar schöne Projekte machen. Und ich möchte gerne ein Leben lang arbeiten. Es ist eine große Qualität an meinem Beruf, dass man ihn machen kann, bis man stirbt.