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Ein Tag im Disneyland Tokio

DATUM Ausgabe Februar 2017

Im sauberen Moloch Tokio, dem größten Ballungsgebiet der Welt, sind alle Wege lang. Nach mehrfachem Umsteigen sitze ich in der Bahn, die mich entlang von grauen Wiesen, Flussmündungen und bröckelnder Industrie in Richtung ›Tokyo Disney Resort‹ bringt, das genau genommen nicht in Tokio, sondern in Urayasu liegt. Um mich herum starren Eltern auf ihre Smartphones. Die Kinder quieken aufgeregt, wie es Kinder überall auf der Welt tun, wenn sie auf dem Weg in einen Freizeitpark sind.

Ich lasse den Eingang hinter mir und reihe mich in einen Strom aus Luftballons, bunten Hüten und schwarzen Haarschöpfen ein. Mehr als 17 Millionen Menschen besuchen Disneyland Tokio im Jahr. Es ist nicht nur ein beliebter Ort für das erste Date, sondern auch ein Urlaubsziel für Japaner vom Land, für die ein 185 Zentimeter großer Europäer nicht zum Alltag gehört. Kinder wollen Fotos mit mir machen, Eltern drücken mir Babys in die Hand.

Ich schlendere an bunten Cartoonhäusern und denselben lebensgroßen Disney-Figuren vorbei, die mich 1990 begeistert haben und jetzt dasselbe mit jungen Japanern tun. Popkultur ist das vielleicht erfolgreichste Exportgut der USA. Kinder in Paris, Orlando und Tokio umarmen dieselbe Minnie Maus und stellen sich artig für dieselben Attraktionen eine Stunde lang an. Das ist schon Globalisierung, aber mit einem Schuss Glokalisierung: Die Gastronomie ist nicht zentralisiert, sondern auf die Geschmäcker des Landes abgestimmt.

Zum Mittagessen bestelle ich mir eine Pizza, die sich als dicker, fettiger Lappen aus völlig geschmacklosem Käse und ungekochter Wurst herausstellt. Es ist quasi die Imitation aus Platons Höhlengleichnis: Irgendwie sind alle Zutaten da, das Ergebnis ist aber maximal grob mit dem Original vergleichbar. So müssen sich Japaner fühlen, wenn sie in Wien ein Running-Sushi-Lokal betreten. Und auch die Sitze der Attraktionen sind auf japanische Verhältnisse abgestimmt. Beim ›Space Mountain‹ werden meine Begleitung und ich freundlich herausgewunken und zum Testsitzen in einen ausrangierten Waggon gebeten. Wir sind weder zu groß noch zu breit und dürfen mitfahren.

Japaner sind überhaupt sehr sicherheitsbewusst. Wenn man die These aufstellt, sie würden sich nur wohlfühlen, wenn sie in allen Lebenslagen Anweisungen bekommen, wäre das genauso gemein wie akkurat. An allen öffentlichen Plätzen hängen Schilder, die einen ständig an Selbstverständlichkeiten erinnern. Und auch im Disneyland Tokio fragen an jeder Ecke uniformierte Mitarbeiter ›Are you having fun?‹ oder sagen energisch, was man zu tun hat. Selbst am Einstieg zu einer Roger-Rabbit-Fahrt für Kinder schreien fünf Angestellte dem Gast lächelnd Anweisungen ins Gesicht.

Am Nachmittag geht meine Runde vorbei am Westernland und durch eine Welt, die einem fiktiven Polynesien nachempfunden ist. Eltern schießen Fotos, die Kinder sind mittlerweile müder oder noch aufgedrehter. Familien lachen und reden miteinander. Und wahrscheinlich geht es im Disneyland Tokio nicht nur um Micky und Pluto, sondern auch darum, sich mit einer Stunde Fahrt einen seltenen gemeinsamen Tag Zeit zu erkaufen. In einem Land, in dem sich Arbeitnehmer kaum einmal fünf Urlaubstage im Jahr nehmen und das mit ›Karoshi‹ ein eigenes Wort für Tod durch Überarbeitung kennt, ist das ziemlich wertvoll.

Nach der letzten Parade strömen die Japaner und ich wieder zur Bahn. Bepackt mit vielen Merchandiseprodukten und müden Kindern. Vorbei an grauen Wiesen, Flussmündungen und bröckelnder Industrie, hinein in den Moloch Tokio.