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Fenster zum Leben

DATUM Ausgabe Oktober 2023

Soll man, darf man heute noch Céline lesen? Louis Ferdinand Destouches (*1894 +1961), wie der Autor der be-rühmten ›Reise ans Ende der Nacht‹ bürgerlich hieß, war immerhin glühender Antisemit und kollaborierte ungeniert und aus -Überzeugung mit dem Nazi-Regime. Célines literarischem Weltruhm tat das letztlich keinen Abbruch: Auch Antifaschisten bewunderten die wie wild um sich schlagende Prosa des Armenarztes, der die moderne französische Literatur um Umgangssprache, Gossenjargon und geistreiche Ausfälligkeiten gegen Gott, Militär und Vaterland bereicherte.

Dass 2021 ein Konvolut von gut 6.000 Seiten zuvor unbekannter Céline-Texte auftauchte, war deshalb nicht nur in Frankreich eine Sensation. Seither wird der literarische Teil des von Experten für echt erklärten Schatzes gesichtet, publiziert – und übersetzt. Für den Roman ›Krieg‹, in dem Céline wie schon in der ›Reise‹ seine traumatischen Erfahrungen als Soldat im 1. Weltkrieg ver-arbeitet, besorgte Hinrich Schmidt-Henkel die Erstübersetzung ins Deutsche, die kürzlich bei Rowohlt erschien.

Und was soll ich sagen, außer: Das muss man aber wirklich lesen! ›Krieg‹ ist ein brillantes Stück Literatur und klingt womöglich noch direkter, lebendiger und frischer als Célines Hauptwerk. Dass das Manuskript rund 90 Jahre alt ist, merkt man nur daran, wie weit es die Konformität der Gegenwartsbelletristik hinter sich lässt. Als hätte nach einer Ewigkeit jemand das Fenster aufgemacht.   

Louis-Ferdinand Céline: ›Krieg‹

Übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel

Rowohlt Verlag, 2023

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