›Leben ist eine Übung im Loslassen‹
Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche in Österreich.
Saskia Jungnikl: Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?
Michael Bünker: Wie bei vielen Kindern war das bei mir in Zusammenhang mit Haustieren: Wir hatten eine Katze. Die hat Junge gekriegt, insgesamt waren das fünf kleine schwarze Kätzchen, die bei uns im Garten gespielt haben. Da brach ein Hund ein und hat sie alle getötet. Ich war damals so sechs Jahre alt und das zu sehen war für mich schrecklich. Auch die Trauer der Katzenmutter, die ihre Kleinen gesucht hat. Später dann innerhalb der Familie, der Tod meines Großvaters. Er ist an einem Ostermontag gestorben. Da kann ich mich erinnern, dass wir Enkel an sein Sterbebett gerufen wurden, ich war so 12 Jahre alt und ein bisschen überfordert. Aber es war auch ein guter Abschied. Er hat uns allen einen Maria-Theresien-Taler geschenkt, den habe ich immer noch. Meine Oma ist im Sommer darauf gestorben, bei uns zuhause. Meine Mutter hat sie gepflegt. Der Tod und Gespräche darüber waren bei uns sehr stark.
Wie hat sich das Verhältnis in den Jahren darauf verändert?
Als Jugendlicher lebt man im festen Glauben: Alle müssen sterben, aber ich nicht. Geändert hat sich das durch Todesfälle im Freundeskreis. Ein guter Freund von mir ist vor 15 Jahren an einem Gehirntumor gestorben und eine gute Freundin meiner Frau und mir ist an Krebs gestorben. Das waren Einschnitte, die anders sind als wenn Eltern und Großeltern sterben. Weil man die Gleichzeitigkeit merkt und sich fragt, warum er oder sie und nicht ich. Und durch meinen Beruf – ich bin ja seit 1981 Pfarrer – habe ich immer wieder mit Sterbenden zu tun.
Bringt die Nähe zum Tod etwa in zunehmendem Alter die Menschen vermehrt in die Kirche?
Wenn man Pfarrer fragt, wo sie sich besonders gebraucht fühlen, heißt es oft, bei der Begleitung von Sterbenden und Trauernden. Vor allem bei der Beerdigung. Ein stummer und wortloser Abschied ist für viele unerträglich, man muss dem eine Sprache geben. Es ist eine Selbstverständlichkeit, eine Banalität fast, zu sagen: Der Tod gehört zum Leben. Aber so ist es. Und wir verhalten uns so, als würde er nicht dazugehören. Der Tod im Krankenhaus, der Tod außerhalb unserer Familie und unseres Rahmens. Meine Großeltern sind zuhause gestorben, mein Bruder auch – das macht schon einen Unterschied.
Hat es Sie etwas gelehrt?
Man muss sich damit auseinandersetzen. Beim Tod meines Bruders, den ich gepflegt habe und bei dessen Tod ich alleine bei ihm war, war ja auch viel drum herum. Was kann man noch alles tun? Man sitzt nicht nur und hält die Hand. Da sind praktische Dinge zu tun, auch weil ein Mensch bis zum Ende seines Lebens Anspruch darauf hat, dass er gut versorgt ist. Wie ist das mit Trinken, Essen, Waschen, Berührungen, …
Sollten Menschen das miterleben?
Ja! Das ist wie die Geburt. Ich habe nie verstanden, wieso Männer verzichten, bei der Geburt ihrer Kinder dabei zu sein. Das ist eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens – ebenso wie das Ende.
Als Sohn eines Pfarrers, als Enkel eines Pfarrers, selbst Bischof – wie stark ist der Tod für Sie mit dem Glauben verbunden?
Das spiegelt sich ja schon in der ganzen christlichen Frömmigkeit. Alleine der Karfreitag, ein Getöteter auf einem Kreuz hängend … Da fragt man sich, was ist das für eine Religion, ist das lebensbejahend? Es besteht immer die Gefahr der Todesverherrlichung. Aber dass der Tod dazugehört und man damit konfrontiert wird, ist gut. Es zeigt das wunderbare Geschenk des Lebens.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Wenn, dann Angst vor dem Sterben. Man weiß nicht, wie man stirbt. Die Möglichkeit möglichst lange möglichst viel zu bestimmen sollte jeder Mensch haben. Die meisten Menschen wollen alt und gesund sein und dann plötzlich einschlafen, aber das wird nur für die Minderheit möglich sein.
Wollen Sie so sterben?
Nein, eigentlich nicht. Bevor es dunkel wird, würde ich gerne noch eine lichte Zeit haben, um Abschied zu nehmen, ein Glas zu trinken. Der plötzliche Tod war für mich nie erstrebenswert. Man kann nicht ständig in dieser Abschiedshaltung leben, aber sich beizeiten darauf einzustellen, finde ich wichtig. Zu versuchen, die wichtigsten Dinge zu regeln, Konflikte auszuräumen, wenn möglich.
Was kommt nach dem Tod?
Ich denke, wenn wir davon ausgehen, dass dieser Planet einschließlich meines seltsamen kleinen Lebens nicht nur Zufall ist, dann darf ich auch vermuten, dass es etwas für die gesamte Schöpfung gibt, das jetzt noch nicht sichtbar ist. Jenseits der Todesgrenze auch Realität ist. Ich halte den Gedanken von einem Leben nach dem Tod für mindestens ebenso vernünftig wie den Gedanken, dass nichts danach kommt. Beide sind nicht zu fürchten, aber der Glaube an ein Leben nach dem Tod hat auch die Möglichkeit, dass man es positiv sehen kann. Ich glaube, dass es einen Zustand geben wird, wo das zu Recht gebracht wird, wo wir versagt haben. Wo die Welt zu etwas werden kann, was sie potentiell sein könnte und was wir manchmal im Glück erleben.
Eine Gerechtigkeit nach dem Tod?
Ja. Da werde ich auch meine Feinde wiedersehen, aber es wird ein anderes Wiedersehen sein. Also ja, ich glaube an ein Weiterleben. In Form einer neuen Schöpfung. Ich werde ganz anders sein und doch ich selbst bleiben. Das unterstreicht auch den Wert des Menschen.
Sie haben einmal gesagt: „Aufgabe der Religionen ist es, den Menschen zuzumuten, mit der eigenen Sterblichkeit leben zu lernen.“ Wie gelingt es Ihnen mit der eigenen Sterblichkeit zu leben?
Es ist eine Übung. Was bedeuten mir die irdischen Dinge? Sie krampfhaft festzuhalten und nicht loslassen zu können macht das Sterben schwer. Sie für unwichtig zu halten macht das Leben schwer. Man muss sie für wichtig halten aber zugleich sehen, dass sie geschenkt und eine Gabe sind. Deswegen glaube ich, Kategorien wie Großzügigkeit, Gastfreundschaft, Barmherzigkeit sind gut fürs Leben und für das Sterben. Neid, Missgunst, Egoismus, nur auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmertum, das alles ist schlecht.
Man braucht fürs gute Sterben eine Portion Gelassenheit?
Da steckt schon das Wort „Lassen“ drinnen. Wir sollten viel mehr lernen, was wir nicht machen sollen und wo und womit wir die Welt verschonen sollten.
Wir sind halt eher darauf trainiert, in diese knapp achtzig Jahre so viel wie möglich zu packen, so viel wie möglich zu verändern. In unseren Köpfen ist nicht drinnen, dass ich mehr gewinne, wenn ich mehr sein lasse.
Die Möglichkeiten, die uns geboten werden, sind riesig geworden. Wir können uns nicht einmal richtig entscheiden, denn entscheiden wir uns für eines, bedeutet das, wir lassen anderes gehen und das will man auch nicht. Und so macht man am Schluss oft gar nichts. Falsch wäre ein Ideal der Bescheidenheit und des kleinen Glücks. Was das Schwierigste ist, ist für sich selbst herauszufinden: Was ist für mich genug? Wann ist es genug? Das beginnt bei Essen, bei Konsum – es ist nie genug. Wir sind auf den Mangel konzentriert: wo bin ich fehlerhaft, was muss ich auffüllen?
Der Vergleich, der unzufrieden macht?
Ich sollte mein eigenes Beispiel sein. Genügsamkeit ist ein falsches Wort, aber ein Freund von mir, der Gourmetpapst Christoph Wagner, hat gesagt: „Genießen kann nur, wer verzichten kann.“ Der Genießer ist nicht der, der unmäßig ist, sondern der, der reduziert.
Worüber werden Sie froh sein, dass Sie es in diesem Leben gemacht hast?
Viele Dinge! Es ist mir geschenkt, den Großteil der Dinge, die ich tue, wirklich gerne zu tun. Das ist nicht bei jedem Menschen gleich und ich bin hier in einer besonderen glücklichen Lage. Ich werde froh sein, dass ich geheiratet habe, dass wir Kinder und Enkelkinder haben. Und darüber, dass ich doch Pfarrer geworden bin, das ist immer noch mein Traumberuf. Und dann noch, dass ich einen längst liegengelassenen Jugendtraum aufleben habe lassen und Schlagzeug spiele. Längst nicht so gut wie mit 17, aber wie halt 60-Jährige Schlagzeug spielen. Unerledigte Kinder- und Jugendträume nicht liegen zu lassen halte ich für wichtig.
Was wollen Sie in diesem Leben noch unbedingt machen?
In Pension gehen (lacht). Ich bin fasziniert von Mega-Citys, also riesigen Städten wie Mexiko-City, Shanghai. Da würde ich gerne hin und vielleicht sogar dort leben.