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Wir sind Helden

Warum sich aus Opportunismus kein großes Kino machen lässt

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe November 2021

Wir alle wachsen auf mit Heldengeschichten. Mittlerweile sogar auch mit Heldinnengeschichten. Von Generation zu Generation erzählen wir von jenen Menschen, die sich gewehrt haben, trotz aller Widrigkeiten für ihre Ideale eingestanden sind, ungehorsam waren, während andere gehorchten, weil es nun einmal das Richtige war. Mit ihnen sollen wir uns als Kinder identifizieren, uns was von ihrem Mut, ihrer Ausdauer, ihrer Zähigkeit, ihrer Empathie abschauen. Später sollten uns die unbeugsamen Mavericks in der Pubertät begleiten, unseren Widerstandsgeist am Köcheln halten, ihn in die richtigen Bahnen lenken.

In der Schule haben wir Eugène Ionescos ›Nashörner‹ gelesen, George Orwells ›Farm der Tiere‹ und Morton Rhues ›Die Welle‹, einig im Urteil, wie abstoßend doch alle jene Charaktere waren, die blind folgten, die es sich immer zu richten wussten, die sich anpassten, diese Nashörner, die im Namen einer großen Sache anderen schadeten. Das sollte uns eine Lehre sein, unsere Verachtung nähren gegenüber einem Opportunismus, der nicht nur stumpfsinnig war, sondern in manchen Fällen gar mörderisch.

Mit der Realität hatten diese Geschichten nur bedingt zu tun. Klar, diese Mavericks tauchen immer wieder auf. Gerne in Gesprächen, wenn der Kollege sich stolz auf die Brust klopft, dass er es dem Vorgesetzten mit einem genervten Augenrollen wieder mal gezeigt hat. Eingestanden ist er damit für sich und für andere. Ein klassischer David-gegen-Goliath-Moment. Gutes Märtyrerpathos biblischen Ausmaßes, wo man sich danach ganz stolz in den Spiegel schauen kann. Held.
Nie hört man jemanden sagen: Da bin ich mitgelaufen, da war ich ein Lemming, da war ich eine, die den Mund nicht aufgekriegt hat, die nicht ›Haltung‹ bewiesen hat. Nie, absolut nie.

Deswegen ist mir eine Falter-Kolumne von Isolde Charim dermaßen in Erinnerung geblieben, in der sie ein altes Fernsehinterview aus den 90er-Jahren von Angela Merkel ausgegraben hat. Zu sehen ist eine junge Merkel, damals Frauenministerin unter Helmut Khol, wie sie zu ihrer Jugend in der ddr befragt wird: wie es war, Mitglied zu sein im kommunistischen Jugendverband, in der ›Freien Deutsche Jugend‹. Spaß hat es gemacht, wenn nicht politisiert wurde, aber ›ansonsten war es 70 Prozent Opportunismus natürlich.‹ Natürlich. Ohne Scham gibt sie das zu. Bestimmte Formen der Anpassung hat sie gewählt, um jenen Weg gehen zu können, den sie sich vorgestellt hatte. ›Ich halte Anpassung für eine lebensnotwendige Sache und keinen Makel‹, sagt Merkel in dem Interview. Da sitzt keine, die gegen den Strom geschwommen ist, es irgendwem irgendwann gezeigt hat. Nein, sie hat sich angepasst, weil das nun einmal das ist, was die meisten von uns tun. Sich anpassen, die Klappe halten, mitlaufen.

Daraus lassen sich keine besonders magischen Geschichten spinnen, Filme und Serien drehen, Merchandise verkaufen. Eine Postkarte mit Hannah Arendts Zitat ›Keiner hat das Recht zu gehorchen‹ hängt hehrer am Kühlschrank als eine mit dem Spruch ›Ich bin ein Opportunist‹. Dennoch halte ich es für angebracht, ein wenig mit der Zeit zu gehen und den einen oder anderen Spruch als Lebensweisheit zu verkaufen, etwa: ›Ich habe gehorcht, deswegen bin ich in der Position, in der ich nun einmal bin‹ oder ›Ich habe mich angepasst, weil es – setzen Sie ein: das Unternehmen, die Partei, die Familie – so wollte‹ oder ›Ich verdiene dieses Gehalt, weil ich im richtigen Moment wusste, den Mund zu halten.‹ Vielleicht sollten ab und zu diese Sätze als Pointen in den Geschichten vorkommen, die wir Kindern so gern erzählen. Damit sie später von der Realität nicht allzu enttäuscht sind. •

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