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Das Prinzip Hoffnung

Viele Genossen halten ihre Partei für kaum kampagnenfähig. Was hemmt die SPÖ? Und wer steuert sie wohin?

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Fotografie:
Roland Schlager/APA/picturedesk.com
DATUM Ausgabe April 2022

Es war schon einmal leichter, ein Roter zu sein. Die einst mächtige, bundesweit top-down durchorganisierte SPÖ, ihre Gliederungen und Vorfeldorganisationen, sie mäandern irgendwo zwischen Mutlosigkeit, Apathie und einem unbestimmten Abwarten. In den Medien schaffen es vor allem die auf offener Bühne ausgetragenen Streitigkeiten in die Schlagzeilen. Eine Ausnahme bildet hier nur der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der die Vorteile des Stadtverwaltungsapparates in der Corona-Pandemie geschickt nutzte und dem Chaosmanagement des Bundes stringent ein vorsichtigeres Krisenmanagement entgegensetzt – und Kai Jan Krainers Aufdeckerarbeit in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, die im Tandem mit den NEOS wesentlich zum politischen Ende von Sebastian Kurz und der massiven Krise der ÖVP beigetragen hat.

Darüber hinaus aber ist offensichtlich: Die Partei kommt einfach nicht richtig in Tritt – oder will es nicht. Eine eigene Themensetzung gelingt kaum. Nach über fünf Jahren in der Opposition sind die Sozialdemokraten, sind vor allem ihre Spitzenpolitiker, noch immer nicht in dieser Rolle angekommen. Natürlich: In den Umfragen lief es seit 2017, als die Genossen den Kanzlersessel verloren, kaum besser als dieser Tage. Nach den Dauerskandalen rund um den türkisen Machtapparat und dem noch immer nicht abreißenden Strom aus ÖVP-Affären hat die SPÖ deutlich aufgeholt, liegt vielfach auf Platz eins, der Trend scheint nach oben zu gehen. Doch der Eindruck, dass bald wieder alles gut wird, auch innerhalb der Sozialdemokratie, täuscht. Spricht man dieser Tage mit SPÖ-Politikern in der Bundespartei und den Ländern, bekommt man nicht selten eine seltsame Mischung zu hören – Frustration und Verständnis, Optimismus und Ungeduld, Resignation und Zukunftshoffnung.

Vor allem aber wird klar, dass im roten Universum nicht nur einzelne ›Parteifreunde‹ und Teile der Partei gegeneinander kämpfen, sondern dass sich die Konflikte oft mitten durch die Organisationen ziehen. Wesentliche Player der spö stehen sich gegenseitig im Wege – und sind doch aufeinander angewiesen. Wo die Partei als Ganzes hin will, wer in ihr den Ton angeben und wer sie führen soll, welches Ziel sie in dieser krisenhaften Zeit letztendlich verfolgt – das scheint man offenbar selbst nicht so genau zu wissen.

Die Gewerkschaften

Kein Zweifel: Jetzt, da die politische Macht dahin ist, ist es vor allem die über Jahrzehnte gewachsene, bleierne Organisationsstruktur der SPÖ, die ein stringentes Agieren und ein geschlossenes Auftreten verhindert. Dass es nicht selten die Gewerkschaften sind, die aufgrund ihrer Mobilisierungsstärke gleichzeitig über ein überproportional großes Gewicht bei politischen, inhaltlichen und personellen Entscheidungen der Partei verfügen, verdeutlichen mehrere recht rezente Beispiele.

Bei der unschönen Entmachtung der Spitze der SPÖ Oberösterreich spielte eben nicht nur ein seit Jahren schwelender Streit zwischen dem Linzer Bürgermeister Klaus Luger und der Landespartei eine Rolle – sondern auch die Angst von mächtigen Gewerkschaftern und Kämmerern vor einem Bedeutungsverlust in der Partei. Der ›offizielle‹ Anlass für Luger und den roten Nationalratsabgeordneten Dietmar Keck, den Rücktritt von SPÖ-Chefin Birgit Gerstorfer und ihrem Geschäftsführer Georg Brockmeyer zu fordern, war eine Impf-Kampagne, den die Landespartei im Alleingang realisiert hatte. Auf den Plakaten zu sehen: ein trauriges kleines Mädchen, der Claim: ›Ich will dich nicht verlieren.‹

Die etwas missglückte Kommunikation – Kinder würden für ›polarisierende Kampagnen eingespannt‹ werden, richtete der Linzer Bürgermeister seinen Opponenten aus – war in Wahrheit ein Vorwand. Der eigentliche ­Hintergrund: Nach dem eher enttäuschenden Abschneiden bei den Landtagswahlen im vergangenen September schritten die oberösterreichischen Genossen zur Selbstkritik. Engagiert wurde dafür ein externes Beraterteam, das 2017 schon für die SPD erfolgreich Introspektion betrieben hatte – und die deutsche Schwesterpartei schließlich mit Scholz auf Platz eins und ins Kanzleramt brachte. Die Berater führten interne Interviews, eines der Ergebnisse: Das Verhältnis zu den Gewerkschaften müsse überdacht werden, dort gehe es zu sehr um ›Besitzstandswahrung‹, bestimmte Listenplätze seien immer ihren Vertretern vorbehalten – diese seien dann nur einer ›bestimmten Klientel‹ verpflichtet und ›wenig kompromissorientiert‹. Dass Medien diesen Teil der Selbstanalyse aufgriffen, führte wohl dazu, dass vor allem Linzer Gewerkschaftern der Kragen platzte. Die Aufregung um die Impf-Kampagne bot ihnen wie auch dem Linzer Bürgermeister dann Anfang Februar den willkommenen Anlass, die Landesparteispitze im Eiltempo abzumontieren.

Die Gewerkschaft wolle politisch immer und überall mitreden in der Partei, sagen SPÖler. Im Endeffekt gehe es ihr aber darum, ihre Leute in entsprechende Positionen hineinzuintervenieren, oder in solchen zu halten. Wie dieses Agieren selbst oppositionspolitische Vorstöße desavouieren kann, zeigt ein gescheitertes Vorhaben im März 2018. Damals war klar, dass der frisch amtierende türkise ›Wunderkanzler‹ Sebastian Kurz mit der Österreichischen Gesundheitskasse eine radikale Kassenfusion anstrebte. Die SPÖ dachte über eine Alternative nach, den ›von Schüssel aufoktroyierten Status Quo‹ wollte man nicht verteidigen. Doch alle Überlegungen, wie etwa jene, wonach es nur mehr neun Gebietskrankenkassen geben solle, scheiterten in den eigenen Reihen – genauer gesagt, am Widerstand der Gewerkschaften. Weniger Kassen, das hätte auch weniger Posten bedeutet, die die Gewerkschafter mit ihresgleichen besetzen hätten können.

Und auch heute sehen SPÖler auf Bundesebene die Gewerkschaften und auch die mächtige Arbeiterkammer als Grund für den unausgegorenen, zögerlich-ambivalenten Kurs der größten Oppositionspartei, was das Thema Impfen betrifft. ›Außerhalb Wiens hat die SPÖ dazu keine Haltung‹, hört man. Kammer und Gewerkschaften würden auch hier Rücksicht auf Impfskeptiker und Impfgegner in den Belegschaften nehmen, anstatt Position zu beziehen. Das erklärt zumindest, wieso Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner zwar sowohl Impfkampagnen der Regierung als auch das gerade erst auf Eis gelegte Impfpflicht-Vorhaben unterstützte, sich aber schwertat, bei dem Thema das Chaos von ÖVP und Grünen für frontale Angriffe zu nutzen. Die Virologin und Parteivorsitzende hatte alle Mühe, vor der Impfpflicht-Abstimmung im Parlament ihren Klub auf Linie zu bringen.

Fluch und Segen aus dem Burgenland

Auf Linie bringen lässt sich einer ganz sicher nicht mehr: Hans Peter Doskozil regiert mit absoluter Mehrheit im Burgenland und sein Verhältnis zu Rendi-Wagner gilt als kaum mehr zu kitten. Immer wieder werden dem ehemaligen Polizeibeamten Ambitionen auf den Chefsessel im Bund nachgesagt – dass Doskozil nach seinen zahlreichen Querschüssen und Provokationen Richtung Wien bei den roten Funktionären, die im Wahlkampf für ihn laufen müssten, akzeptiert wird, halten viele Rote für unwahrscheinlich. Zu groß ist das Spaltungs-Potenzial, das von Doskozil ausgeht.

Der letzte Versuch einer Aussprache zwischen Doskozil und Rendi-Wagner, um zumindest einen Modus Operandi zu finden, der eine friedliche Koexistenz im Sinne der Parteiräson ermöglicht, scheiterte. Über den genauen Hergang des ›Friedens-Cafés‹ im Juli vergangenen Jahres in Kärnten, vermittelt von SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser, gibt es allerdings unterschiedliche Erzählungen. Konstruktiv soll Rendi-Wagner im einstündigen Gespräch mit ihrem Kontrahenten gewesen sein, der allerdings wollte im Anschluss weder mit der Presse sprechen noch auf ein gemeinsames Foto. Das erzählen die einen. ›Rendi-Wagner hat ihm eine Presseaussendung vorgelegt, nach dem Motto, so, das schicken wir jetzt aus‹, sagen die anderen. Es sei ›die Unfähigkeit Rendi-Wagners, mit der schwierigen Persönlichkeit Doskozils umzugehen‹, die in eine Spirale von immer wiederkehrenden Reaktionen des Burgenländers geführt habe. Der Grund dafür sei auch eine gewisse Unsicherheit der Parteichefin – und ein Übermaß an Selbstbewusstsein bei ihrem Gegenüber.

Nicht wenige, unter ihnen auch explizite ›Dosko-Kritiker‹, betonen aber, dass der Provokateur aus Eisenstadt eines könne, was der Parteispitze abgehe: Er begegne allen Mitarbeitern auf Augenhöhe, und er höre richtig zu. Das sei etwas, was in der Partei sonst kaum jemand mehr könne. Dass Doskozil Projekte wie die Anstellung pflegender Angehöriger und den Mindestlohn im Burgenland realisiert habe, mache ihn trotz seiner Irrationalität in der Kommunikation für viele zum Idealbild eines klassischen Sozis, dessen Politik eben auch an der Wahlurne honoriert würde.

Schielen in Richtung ÖVP

Dass es trotz aller Möglichkeiten, die die ÖVP-geführten Regierungen der letzten Jahre boten, noch immer keinen harten Oppositionskurs gibt, liegt aus Sicht mancher SPÖ-Politiker aber gar nicht so sehr an Rendi-Wagner selbst – sondern vor allem an ihrer engsten Umgebung. Das beginne bei Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Der Wiener, der mehrere Wahlkämpfe für die spö gemanagt hat, agiert in der Löwelstraße tatsächlich eher so, als ob seine Partei noch immer den Kanzler stelle. Persönlich tritt Deutsch so gut wie nicht auf, er arbeitet lieber über Aussendungen, reagiert, statt zu agieren. Viele in der Partei wünschen sich jemand Jüngeren als Geschäftsführer, jemanden, der das politische Geschäft in der Opposition beherrscht. Dass Deutsch Rendi-Wagner als Geschäftsführer von Wiener Parteikreisen rund um Doris Bures quasi aufgezwungen worden war, nachdem Thomas Drozda nach der Wahlniederlage 2019 das Handtuch geworfen hatte, dürfte allerdings eine Legende darstellen. Rendi-Wagner habe Fehler gemacht und es verabsäumt, sich die Zeit zum Sondieren zu nehmen – und Deutsch sei der einzige gewesen, der sich sofort angeboten habe.

Mittelmaß ziehe eben Mittelmaß nach sich, so drückt es ein SPÖ-Funktionär aus. Es fehle einfach an gutem Personal, ›aber wer weiß, vielleicht will man das ja gar nicht in der Partei‹. Schlussendlich warte die SPÖ-Spitze lieber darauf, nach Neuwahlen wieder eine große Koalition mit der ÖVP eingehen zu können. Und so fehle Rendi-Wagner auch im Parlament das Personal, das aktive und durchdachte Oppositionspolitik zu machen bereit wäre – allzu viele würden lieber auf die Chance warten, doch noch einmal Minister zu werden. Abgeordneten wie Jörg Leichtfried oder Alois Stöger fehle es in ihren Positionen an Emotionalität. Themen, die ÖVP anzugreifen, gäbe es auch jetzt im Ukraine-Krieg genug – etwa Siegfried Wolf als ÖVP-Großspender und Mittelsmann des Oligarchen Oleg Deripaska (Wolf hält zehn Prozent am Konzern gaz, der unter anderem Panzer für das russische Militär baut) oder die OMV, deren langjährige strategische Ausrichtung auf russisches Gas sich nun als fatale Fehlentscheidung herausstellt. Besonders Parteilinke ärgern sich darüber, dass die SPÖ-Spitze all das nicht für sich nutzt, obwohl der demonstrative Rückzug Christian Kerns aus der russischen Staatsbahn seinerseits Angriffsfläche für den Gegner minimiert habe. Man schielt also in Richtung ÖVP – und nicht in Richtung möglicher Dreierkoalition mit Grünen und NEOS, die ohnehin ›sehr, sehr viel Mediation‹ benötigen würde.

Die Männer im Hintergrund

Ein ›Gleichgewicht des Schreckens‹, wie manche es nennen, bestimme also den SPÖ-Kurs, und verhindere eine Veränderung. Dabei gab es in den vergangenen Monaten immer wieder Versuche von Teilen der Partei, das Ruder an sich zu reißen – so wie im November 2019, nach besagter Wahlniederlage. Unter der Führung von Niederösterreichs SPÖ-Chef Franz Schnabl trat eine Männerriege an, Rendi-Wagner von der Parteispitze zu holen – doch der Umsturzversuch scheiterte. Medien schrieben dennoch monatelang über Rendi-Wagner als eine ›lame duck‹, deren Ende als SPÖ-Chefin nur mehr eine Frage der Zeit wäre – Beobachter wie parteiinterne Gegner unterschätzen ihre Standhaftigkeit. Wie schon so oft in der Vergangenheit ist es aber der Wiener Bürgermeister, der die Parteichefin in ihrer Position schützt. Michael Ludwig hält Rendi-Wagner auch nach innen hin stets die Stange.

Was andere als das größte Handicap der Medizinerin ansehen – dass sie nicht in der Partei verankert ist, quasi als Quereinstiegen gilt, und zudem nicht zur angriffigen Oppositionschefin taugt – das ist für Ludwig ein Vor- und kein Nachteil. Nur ein einziges Mal habe er die Parteichefin am Telefon hart kritisiert: Als Rendi-Wagner im Frühjahr 2020 ihre Zustimmung bei den Mitgliedern abfragen ließ, befürchtete Ludwig ›eine Watschen‹ für Rendi-Wagner.

Und dennoch: Gegen Rendi-Wagner bringen sich zwei Wiener Genossen in Stellung, von denen zumindest einer auf die Unterstützung des Wiener Bürgermeisters hoffen kann. Dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker attestieren Parteiinsider ein nicht zu knappes Selbstbewusstsein und eine Ambition auf den Chefsessel. Dass medial auch Finanzstadtrat Peter Hanke immer wieder als möglicher Nachfolger von Rendi-Wagner gehandelt wird, liege aber weniger an seinen tatsächlichen Chancen, als an einem geschickten Selbstmarketing: ›Er bringt sich eher selbst in Stellung‹.

Auch wenn niemand in der Partei so recht an die Existenz einer klandestinen Männer-Seilschaft glaubt, die im Hintergrund am Sessel der Parteichefin sägen könnte, so sind es doch vor allem Männer, die das letzte Wort haben werden. Neben Ludwig entscheiden Kaiser und Doskozil mit, ob Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin und Parteichefin in eine kommende Nationalratswahl geht. Und im Hintergrund wirkt jemand mit, der eigentlich längst im wohlverdienten Ruhestand und mit Distanz seine Partei beobachten könnte: Schon seit dem vergangenen Sommer soll Hannes Androsch, der ›Kronprinz‹ Bruno Kreiskys, intensiv an einer Alternative zu Rendi-Wagner arbeiten.

Nicht nur für die erste Frau an der Spitze der SPÖ heißt es also weiterhoffen. Dass irgendwie alles gut wird, mit einer Regierungsbeteiligung. Und dass die Partei bis dahin irgendwie zusammenhält. Schließlich gilt für viele Genossen, was Doskozil-Ziehvater Hans Niessl frei nach EX-SPD-Chef Müntefering formuliert hatte: ›Opposition ist Mist‹. •