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EU vs. Nation

DATUM Ausgabe Mai 2024

Dass es im Europawahlkampf fast ausschließlich um ›österreichische Interessen‹ und deren Schutz geht, damit findet man sich inzwischen schon widerspruchslos ab. Der utopische Kern des Projekts Euro-päische Union scheint vergessen: eine immer engere Integration, die die Macht der Nationalstaaten schrittweise reduziert und schließlich in einem demokratischen Europa aufhebt.

In seinem Essay ›Die Welt von morgen‹ nimmt Robert Menasse diesen Faden wieder auf, den schon Jürgen Habermas vor zwei Jahrzehnten im selben Verlag in seinen ›Kleinen politischen Schriften‹ entwickelt hat. Seither ist in der europäischen -Politik viel passiert – und gemäß Menasse meist das Falsche, weil (von Griechenland bis Corona) in jeder Krise der Nationalismus zulasten des gemeinsamen Europas gestärkt wurde. Diese Analyse ist nicht neu, dafür aber richtig, und wird von Menasse im Detail historisch kenntnisreich und mit argumentativer Verve sowie sprachlicher -Finesse vorgebracht.

Manches reizt dennoch zum Widerspruch: etwa Menasses Sorge, die Ukraine (deren Abwehrkampf er gleichwohl unterstützt) könnte durch erfolgreichen Widerstand gegen Russland zu viel Nationalstolz anhäufen und sollte deshalb lieber nicht Teil Europas werden. Den Gegensatz Nation versus EU denkt Menasse zu absolut, das ließe sich soziologisch zum Beispiel bei Habermas nachlesen – oder bei pro-europäischen

Demos in Kiew oder Tiflis erleben. Menasses Plädoyer für Europa ist dennoch lesenswert, allein schon deshalb, weil es die Themen aufbereitet, über die im EU-Wahlkampf wohl wieder einmal nicht diskutiert werden wird. 

Robert Menasse: ›Die Welt von morgen‹
Suhrkamp Verlag 2024

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