Was Recht schaffen kann
Anwältin Mona Caroline Chammas propagiert Jus als Elixier.
Warum? Warum gibt es in der EU dieses Gesetz, warum gebt ihr euch jenes interne Gesetz?‹ Mit diesen zwei Fragen geht Mona Caroline Chammas in die Führungsetagen von Firmen, Regierungen, Medien und Zivilgesellschaft, von Mexiko über Belgien bis Georgien. Meist dauert es lange, bis sie wieder herauskommt. ›Ich löse Aufwachmomente aus: Politiker oder CEOs stören sich an einem Anti-Korruptionsgesetz oder einer Datenschutzverordnung. Dann beantworten wir das »Warum?« dieses Gesetzes gemeinsam und kauen seine Folgen durch. Entscheider erkennen, dass ein Gesetz sie auf den ersten Blick plagt, auf den zweiten aber stärkt. Und dass sich ethisches Handeln innerhalb und außerhalb einer Organisation immer bezahlt macht, ja sogar Profite erhöht.‹
Chammas spricht so präzise, wie sie denkt, ein weiches Englisch mit französischer Note. Sie pendelt zwischen Brüssel und Paris. Sie war ›Integrity Director‹ von Unilever Europa und Rechtsberaterin der OECD. Sie störte, dass Juristen immer erst gerufen würden, wenn es brennt. Vor drei Jahren, mit 34, eröffnete sie ihre eigene Anwaltskanzlei, ›Govern and Law‹, in der Anwälte mit Design-Thinkern weltweit zusammenarbeiten. Das Team denkt das Handeln von Regierungen, Firmen und die gesellschaftlichen Konsequenzen zusammen, und zwar von Beginn eines Innovations- oder Änderungsprozesses in einem Land oder einer Organisation an.
›Stichwort Technologie-Start-ups. Sie sind zuerst den Gründern, dann den Besitzern, schließlich den Aktionären gegenüber verantwortlich. Dann kommen sie plötzlich drauf, dass sie die Demokratie beeinflussen!‹ Chammas sagt diesen Firmen: ›Innoviert nicht vor euch hin und fragt, ob diese oder jene Anwendung rechtskonform ist. Dreht den Prozess um. Entwerft Roboter, Algorithmen oder Politiken mit den Möglichkeiten des gesamten rechtlichen Umfelds. Macht euch Jus zum Partner!‹ Die Rechtsabteilung gehöre mit der Strategie und der Forschung und Entwicklung fusioniert. Wer heute Aktionären im Wort ist, solle sich morgen vor einer breiten Gruppe von ›Stakeholdern‹ verantworten. Das nennt Chammas ›compliance by design‹.
Die Belgierin mit teils syrischer Herkunft will die Möglichkeiten des Kapitalismus für eine bessere Welt ausschöpfen. Sie bittet Risikomanager, nicht nur das Risiko für die eigene Firma, sondern für das gesamte Ökosystem – die Produktionskette, die Anwohner oder Nutznießer – zu erfassen. ›Zum Glück wächst die Bewegung der B-Corporations, zu denen heute fast 3.000 Firmen gehören.‹ Etwa Patagonia aus Kalifornien oder die Esterházy Wein GmbH aus dem Burgenland. B-Corporations begreifen sich als Akteure in einem gesellschaftlichen und ökologischen System, das auch morgen noch intakt sein soll.
Chammas’ großes Ziel ist es, Innovatoren im Feld der künstlichen Intelligenz mit einem ›rechtlichen Werkzeugkoffer‹ auszustatten. Jus schon in der Schule? Sähe sie als Elixier, nicht als Qual.
Und Europa? ›Die Europäische Union zöge langfristige Vorteile daraus, wenn sie weltweit den verantwortungsvollen Kapitalismus fördert.‹