Wo sind die Bürger(lichen) von Wien?

Oder: was die Sachertorte mit dem Machtanspruch der SPÖ zu tun hat.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe Mai 2025

So kann sich nur die Wiener SPÖ über ein historisch schlechtes Wahlergebnis und den Verlust von 2,2 Prozentpunkten freuen. Sie geriet am 27. April angesichts dieser Fakten außer Rand und Band. Aus ihrer Sicht verständlich: Schön, wenn die Angst vor noch größeren Verlusten nachlässt.

An dem Jubel der SPÖ konnte man am Wahlabend bereits ein bedauerliches Resultat dieses Urnengangs erkennen: Bürgermeister Michael Ludwig und Konsorten werden absolut keinen Grund sehen, substanziell irgendetwas an dem Teil der Politik zu ändern, der die Bürger von Wien am stärksten betrifft. Sie werden sich mit kleinen, manchmal rein kosmetischen Korrekturen zufriedengeben: ein wenig in den Volksschulen korrigieren, in denen die Kinder mehrheitlich kein Deutsch sprechen können; ein bisschen mehr durch Lehrstellenbeschaffung in den kommunalen Betrieben an der explodierenden Jugendarbeitslosigkeit ändern; eine Telefonnummer zur Lenkung von Patientenströmen in den Ambulanzen einrichten und ähnliches mehr. 

Bedauerlich ist dieses Resultat deshalb, weil die Bürgerlichen von Wien – zusammengefasst nach den Wahlresultaten der ÖVP, der Neos und der Grünen – ein Drittel der Wählerschaft ausmachen, aber nicht die Kraft haben, Ludwig zur Änderung seiner Politik des Wegschauens und Schönredens von tatsächlich vorhandenen Problemen zu zwingen. Es scheint, als hätten die Bürgerlichen die Hauptstadt einfach kampflos aufgegeben.  Das einstellige Resultat der ÖVP (9,7%) hat da Symbolkraft. Grüne (14,5%) und Neos (10,0%) mögen selbst an den Schmäh ihrer Schubkraft in einer Koalition mit der SPÖ glauben, werden jedoch voraussichtlich wieder an Realität und eigener Kraftlosigkeit scheitern – wobei die Spitzenkandidatin der Grünen, Judith Pühringer, sich im Wahlkampf  durchaus profiliert hat. Nur wird das nicht reichen.

Bedauerlich also, dass keine der anderen Parteien die Wiener Sozialdemokratie zur Abkehr von ihrer absolutistisch gefärbten  Gnadenpolitik (›Von der Wiege bis zur Bahre‹ sorgt die SPÖ) hin zu einer bürgerlich bestimmten Gesellschaft der Mitarbeit und Mitbestimmung drängen wird können. 

Es ist schon bezeichnend, dass sich die SPÖ immer noch auf die Errungenschaften des ›Roten Wien‹ beruft.  Diese Phase hatte ihre Meriten, aber als Rechtfertigung für den Machtanspruch der Wiener SPÖ jetzt kann sie nicht dienen. 

Gewiss, es ist nicht die Schuld der Wiener SPÖ, dass die Mitbewerber so schwach sind. Mit der FPÖ ist vorläufig auch keine bürgerlich geprägte Änderung anzudenken, ihr fehlen Anstand und Vernunft. Wahrscheinlich wird es daher einer groben finanziellen Krise der Stadt bedürfen, um die SPÖ von ihrem selbstgefälligen und selbstherrlichen Kurs abzubringen. 

Die Stadt ist kulturell ein Kleinod, aber industriepolitisch eine Wüste; in Bezug auf Lebensqualität ein Luxusgefährt, aber in Bezug auf kreative Energie ein Schlafwagen. Der beliebte Schauspieler Gert Voss sagte es angeblich immer wieder: ›Wenn du in Wien nicht aufpasst, bist du innerhalb einer Woche eine Sachertorte.‹

Der SPÖ genügt die Existenz als Tortenstück offenbar. Bedauerlich!•

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