Die Fratze der Ohnmacht

Warum man es sich mit dem Boykott alles Russischen zu einfach macht.

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Illustration:
Blagovesta Bakardjieva
DATUM Ausgabe April 2022

In Zeiten der Ohnmacht gilt es, Zeichen zu setzen. Da etwas spenden, dort mitdemonstrieren, hier sein Profilbild ändern. Doch manchen reicht das dieser Tage nicht, um ihrer Ohnmacht angesichts des Krieges in der Ukraine Herr zu werden. Sie brauchen ein anderes Ventil. Eines, das die Ohnmacht in Wut verwandelt. Sie genießt ein besseres Image, ein pro-aktives, eines, das mehr Macker und weniger Opfer schreit. Im deutschen Bietigheim hat ein Wirt dieses Ventil vor einigen Wochen gefunden.
›Besucher mit russischem Pass sind bei uns im Haus unerwünscht‹, hieß es auf der Webseite seines Restaurants. Dem Wirt sei bewusst, dass der ›normale russische Staatsbürger‹ keine Schuld an dem kriminellen Handeln der Regierung Russlands in der Ukraine trage, dennoch wolle man mit dieser Botschaft ein Zeichen setzen.

In Tschechien hat die Plattform Global Voices eine ganze Reihe solcher ›Zeichen‹ dokumentiert. Von Hotels, die russischen Gästen die Übernachtung verweigern, über Taxifahrer, die Mütter aus dem Auto schmeißen, wenn sie die Frauen mit ihren Kindern Russisch sprechen hören, bis hin zu Professoren, die nicht länger russische Studierende unterrichten wollen. An der Prager Wirtschaftsuniversität musste sich ein Dozent für seinen emotionalen Ausbruch auf Social Media entschuldigen, nachdem er einen Tag nach Putins Invasion in der Ukraine gepostet hatte, dass er ›aus Gewissensgründen und moralischen Grundsätzen‹ keine Abschlussarbeiten von Russen korrigieren und ihnen auch keine Prüfungen abnehmen werde. Ebenso wolle er auch nicht länger mit russischen Wissenschaftlerinnen gemeinsam forschen.

Solidarisch will man sich mit so einem Verhalten zeigen, die Sanktionen gegen ein Unrechtsregime persönlich mittragen, und begreift nicht, wie man so langfristig eine Gesellschaft verätzt. Auch hierzulande ist das zu beobachten, wenn etwa die Rede davon ist, das ›Russengas‹ zu boykottieren, oder wenn ein Wiener Kino einen ukrainischen Kriegsfilm in den Medien mit den Worten bewirbt: ›Wie es sich anfühlt, in russische Hände zu fallen …‹

So einfach lässt sich die eigene Ohnmacht bezwingen, indem man sie hilflos umhertorkeln und die dümmsten Abkürzungen nehmen lässt. Denn gegen einen Autokraten ist man persönlich machtlos, gegen Einzelne, die seine Staatsbürgerschaft und Sprache teilen, weniger. Da lässt sich Widerstand leisten. Auch auf der großen Bühne, wenn russische Künstlerinnen ausgeladen werden, ihnen die Zusammenarbeit aufgekündigt wird, weil sie sich nicht laut genug, klar genug, unversöhnlich genug von dem Geiselnehmer ihres Heimatlandes distanziert haben. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn selbst Putin-Lakaien und Regime-Protegés den Krieg mitsamt seines Kriegsführers verdammen würden und Solidarität mit der Ukraine zeigen. Aber Solidarität lässt sich nicht erzwingen.

Am allerwenigsten durch jene, die es nichts im Leben kostet, solidarisch zu sein. Jene, die nicht in einem repressiven System gelebt haben, sollten sich zurückhalten mit den großen Distanzierungsappellen an andere. Wer nie etwas riskieren musste, kann nicht von jenen, die es bereits getan haben, verlangen ihre Existenz, die ihrer Angehörigen, Freundinnen und Bekannten aufs Spiel zu setzen, nur um mit gefühligen Statements das Gewissen ohnmächtiger Zuseher zu befriedigen, die morgen auf einem anderem Schauplatz ihrer Emotionalität freien Lauf lassen. Ja, Ohnmacht ist unangenehm. Und sie hat viele Gesichter. Das Mindeste, das getan werden kann, ist nicht das hässlichste zu zeigen. •