›Jeder darf sich selbst belügen‹

Die Autorin führt Gespräche ›Auf Leben und Tod‹, diesmal mit der Biochemikerin Renée Schroeder.

DATUM Ausgabe Mai 2017

Saskia Jungnikl: Wann war Ihnen das erste Mal bewusst, dass es den Tod gibt?

Renée Schroeder: Als ich etwa vier Jahre alt war, hatte die Tochter von Freunden Leukämie. Es hieß, sie wird sterben, aber ich konnte mir darunter nichts vorstellen. Ich erinnere mich noch an dieses Bild, als ich sie besuchen war, wie sie da in dem abgedunkelten Raum auf ihrem Bett lag.

Hat man damals mit Ihnen darüber geredet?

Es hat mich nicht sonderlich beschäftigt. Ich bin in Brasilien in einer Stadt geboren, wo es eine große Stahlfabrik gab und die Luft sehr verschmutzt war. Es gab keine gute medizinische Versorgung. Viele Menschen hatten Krebs und für mich stand Tod deshalb immer in Verbindung mit Krebs. Innerhalb der Familie hatte ich sehr wenig mit Tod zu tun. Der erste Tote, den ich gesehen habe, war mein Vater und da war ich fast fünfzig Jahre alt. Meine Mutter ist jetzt 94. Sie lebt in Luxemburg und hat einen Euthanasievertrag, der ihr Recht auf Sterbehilfe regelt.

Wie wollen Sie sterben?

Ich will bewusst sterben. Ich möchte am Ende das Gefühl haben, ich hatte ein gutes Leben. Eine Zeitlang wollte ich selbst festlegen, wie und wann ich sterbe. Ich dachte, ich schwimme einfach hinaus aufs Meer. Aber dann sagten alle, zu ertrinken sei so ein schlimmer Tod. Da dachte ich, gut, ich gehe auf einen Berg und erfriere dort, das ist ein schönerer Tod. Aber der Tod hängt stark von der Qualität des Lebens ab.

Wie wollen Sie beerdigt werden?

Ich will nicht auf einem christlichen Friedhof liegen. Eine Freundin von mir ist Keramikerin und die hat in Usbekistan so schöne Urnen gesehen. Also hab ich eine bei ihr bestellt, und sie wird mir eine bunte, schöne machen. Die würde ich am liebsten in einen Wald stellen. Ich kann mir auch einen Urnenhain auf meinem Hof in den Bergen vorstellen.

In Österreich gibt es die Friedhofspflicht, ein Teil der Asche muss auf einem staatlichen Friedhof sein. Es ist ein bisschen schwammig formuliert, wieviel dieser Teil der Asche ist, aber Angehörige dürfen nicht die gesamte Asche mitnehmen. Es gibt Ausnahmen beim Waldfriedhof.

In Salzburg gibt es einen Urnenhain. Da hat man so einen schönen Ausblick, wobei natürlich: warum sollte mich ein schöner Ausblick interessieren (lacht). Ich teile die Welt in drei Töpfe ein. In Topf Nummer eins ist alles was es gibt, unabhängig davon ob wir etwas dazu beigetragen haben. In Topf zwei ist alles, was es gibt, weil wir es erfunden haben. In Topf drei sind nur Dinge, die in unserem Kopf sind, wie Gedanken, das Leben nach dem Tod, das Paradies. Dieser Topf ist sehr mächtig, das ist die Macht unserer Ideologien, der Religionen. Das Leben nach dem Tod ist ein Mem, ein Hirngespinst, das es nur in unserem Kopf gibt. Aber wie das unser Verhalten beeinflusst! Die Vorstellung, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, dessen Qualität davon abhängt, wie ich mich jetzt verhalte, ist abstrus. Ein Geschäft mit der Angst. Die Religionen verkaufen Dir ein Leben nach dem Tod.

Haben Sie jemals an ein Jenseits geglaubt?

Als Kind, ja. Man glaubt Erwachsenen. Das finde ich arg, dass Erwachsene Kinder so belügen. Weihnachtsmann, Osterhase, nun gut. Aber wenn es um Gott geht, finde ich es unverantwortlich.

Manche Menschen glauben an einen Gott.  

Überlegen Sie, in welche Krise Menschen kommen, wenn sie draufkommen, dass es keinen Gott gibt! Ich kann auch nicht glauben, dass es Erwachsene gibt, die diese Geschichten wirklich glauben. Ich finde, diese Manipulation ist eine Bösartigkeit der Religionen und für sie ein erfolgreiches Geschäft.

Manchen Menschen hilft der Glaube.

Wobei soll das denn helfen? Das Leben zu ertragen weil man ihnen eingeredet hat, es sei so schlecht?

Bei Trauer etwa.

Sie wollen diese Lügen halt glauben. Ich habe einmal eine Debatte mit einer intelligenten Frau geführt, die gesagt hat, sie möchte, dass es Gott gibt und deswegen glaubt sie an ihn. Sehr interessant. Menschen möchten, dass es so ist. Ich finde das bigott. Aber gut, jeder darf sich selbst belügen. Er sollte nur nicht andere belügen.

Was kommt nach dem Tod?

Es geht alles weiter, halt nur ohne mich. Schon: Gedanken an mich, meine Moleküle, meine Atome existieren weiter und verbinden sich wieder. Es gibt einen chemischen Kreislauf, aber er hat mit mir nichts zu tun. Also bleibt die Frage: Wer bin ich? Wie definiere ich mich? Erinnerungen, Gene: Das ist nach dem Tod alles weg. Und ich brauche auch keinen Glauben, dass es danach weitergeht.

Haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein, es ist selbstverständlich, dass ich sterben muss. In meinem nächsten Buch geht es um die Unsterblichkeit, darum, was sie bedeutet. Auch ein mächtiges Mem. Alles hat einen Anfang und ein Ende. Aber wie lange kann man dazwischen leben, darum geht es. Wo sind die Limits? Ich bin jetzt etwa besser drauf als mit Mitte zwanzig. Man steht mit zunehmendem Alter mehr über den Dingen, man weiß, was wichtig ist und was unwichtig.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie den Lebenszustand, in dem Sie jetzt sind sehr genießen. Würden Sie rückblickend Ihrem jüngeren Ich etwas raten?

Wenn man jung ist, spürt man eine gewisse Ohnmacht. Gerade was Frauen betrifft, da machen einem andere gerne Vorschriften. Was angebracht ist, was nicht. Der Blick über die Welt wird im Alter immer klarer. Der Geist geht weiter, das Gehirn lernt ohne Ende und wenn man darauf aufpasst, nimmt es an Komplexität zu. Zumindest wenn es nicht erkrankt.

Was wollen Sie in diesem Leben noch machen?

Eigentlich ist das eine blöde Frage. Wenn ich jetzt weiß, was ich in den nächsten Jahren noch machen will, erlebe ich nichts Neues. In einem Jahr gehe ich in Pension und dann werde ich meine Hobbys pflegen! Ich habe einen Bauernhof, ein Labor, ich spiele so gerne Saxophon, ich habe dann fünf Enkelkinder. Es gibt so viel, dem ich mich widmen möchte und wofür ich nicht genug Zeit habe. Ich mache also nicht zu viele Pläne. Die Evolution hat auch keinen Plan. Wir haben uns nur so darauf konzentriert, zielgerichtet zu denken. Mein ganzes Leben habe ich in Projektplänen gedacht und jetzt mache ich einmal bewusst keinen Plan und freue mich darüber.

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